Können Apps bei emotionalen Krisen helfen, Maike Böhler?

Immer wieder werde ich in meine Fortbildungen mit Hebammen gefragt, an wen sich Mütter oder Familien in emotionalen Krisen wenden können. Hebammen können nicht alles abfangen, schon rein zeitlich ist das leider nicht möglich. Psychotherapieplätze sind aber rar oder die Wartelisten lang.
Schon länger verfolge ich daher die Entwicklung von digitalen Unterstützungsangeboten: Ich selbst gebe ja regelmäßig kurze sogenannte „Live-Sessions“ innerhalb der Keleya-App. Die sind aber nicht dafür gedacht, einzelne Frauen emotional zu begleiten oder aufzufangen sondern dienen eher als Impuls zu verschiedenen Themen. An der FH Potsdam habe ich an der Entwicklung und Testung der App „MyDoula“ mitgewirkt. Dort enthalten waren Wissen und Übungen gegen Stress und Angst in der Schwangerschaft.
 In dieser Zeit bin ich auch auf die mamly-App aufmerksam geworden. Sie entstand aus dem mind:pregnancy Forschungsprojekt von Stefanie Wallwiener und Kolleginnen aus Heidelberg. Mittlerweile gibt es die App auf dem Markt und die Kosten werden von einigen Krankenkassen übernommen. Mit Maike Böhler aus dem Team habe ich über die Chancen solcher Apps gesprochen und was die Nutzerinnen eigentlich dort erwartet:

Ihr habt euch mit eurer App auf emotionale Herausforderungen und Krisen rund ums Mutterwerden spezialisiert. Werden diese Krisen aus eurer Sicht immer mehr oder werden sie eher aus einer Tabuzone rausgeholt?

Aus unserer Sicht war das Thema schon immer da, aber es wird jetzt präsenter. Es wird quasi enttabuisiert, weil einfach viel mehr darüber gesprochen wird. Deshalb leisten wir ganz viel Aufklärungsarbeit über Social Media.  Und nehmen dann Überschriften wie ‚psychische Belastung in der Schwangerschaft‘, um mit dem Finger darauf zu zeigen, dass es das gibt und dass es normal ist. Unsere Coaches sagen oft „Damit sind Sie nicht alleine. Sie sind nicht die Einzige mit diesen Gedanken, mit diesen Gefühlen. Das ist völlig normal“. Damit man sich nicht so alleine fühlt mit seinen Themen.

Wie nehmt ihr die aktuelle Schwangerschaftsvorsorge & medizinisch-psychologischen Versorgung von Schwangeren wahr und was würdet ihr gerne verändern?

Wir haben das Gefühl, dass es oft an Zeitmangel und zu wenig Aufklärung scheitert. Aktuell ist die psychologische Komponente oder eine ganzheitliche Orientierung auch zu wenig im Leistungskatalog der Krankenkassen abgebildet. Was natürlich ein großer Punkt ist, wenn die Frauen alles immer in Selbstzahler-Leistung machen müssen. Wenn die Krankenkassen das noch mehr in ihrem Programm abbilden würden, wäre schon ein sehr großer Schritt getan. Es gibt viele Krankenkassen, die noch sehr veraltet sind, gerade in der Kommunikation, auch mit ihren Versicherten.

Aktuell ist die psychologische Komponente oder eine ganzheitliche Orientierung auch zu wenig im Leistungskatalog der Krankenkassen abgebildet.

Wissen Ärztinnen, Hebammen und werdende Eltern denn schon genug Bescheid über die Möglichkeiten von Apps wie Mamly?

Im letzten Jahr waren wir auf Hebammenmessen und haben versucht klar zu machen, dass wir kein Ersatz sind, wie einige befürchten. Sondern einfach nur ein Zusatz für eine ganzheitliche Versorgung. Wir schicken auch bundesweit Mailings an Frauenarztpraxen raus und stellen Flyer und Poster zur Verfügung, um so die Frauen zu erreichen.
In meiner eigenen Schwangerschaft wurde das Thema, wie es mir mental geht, nicht einmal aufgegriffen. Da erhoffen wir uns auch so ein bisschen was. Aber das sind natürlich mini kleine Schritte, es kostet super viel Zeit und ist ein großer Aufwand. Aber ich glaube, da muss man einfach dranbleiben.

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Vielleicht können wir direkt mal zu dem Punkt springen: Wie funktioniert das denn, wenn eine Frau ein Poster von euch sieht? Sie scannt den QR-Code und wird zur App weitergeleitet. Aktuell wird die App allerdings nur für Kundinnen der Techniker oder der DeBeKa bezahlt, oder?

Genau das sind jetzt unsere Partner aktuell, die übernehmen komplett die Kosten. Seit Kurzem gibt es auch für Kundinnen anderer Krankenkassen die Option eines Antrags auf Kostenübernahme, die man bei seiner Krankenkasse einreichen kann. Unser Leitsatz ist es, dass wir die App so niederschwellig wie möglich anbieten möchten. Wenn du im Wochenbett liegst mit Babyblues und musst dann so Hürden nehmen wie einen Antrag zur Kostenübernahme, da bist du eigentlich schon wieder raus. Jetzt läuft es beispielsweise so: Ich bin bei der Techniker versichert, lade mir die App runter, muss mich registrieren, dann muss ich meine Daten eingeben und werde direkt weitergeleitet zur ‚Meine TK App‘. Man muss nichts unterschreiben, man muss nichts im Nachgang irgendwie bei seiner Kasse einreichen, sondern das machen wir alles im Hintergrund. Danach hat die Frau nie wieder irgendwas damit zu tun.
Wir haben jetzt einen Vertrag abgeschlossen, letztes Jahr mit der GWQ. Das ist der Dachverband von vielen BKKs. Das heißt, da ist auch schon mal der nächste Schritt geebnet. Aber bei Krankenkassen, das ist einfach ein super langer Prozess, bis man da vorwärts kommt. Deswegen sind wir schon mal froh über die Lösung mit der Kostenübernahme. Aber unser Endziel ist es, noch mehr Krankenkassen davon zu überzeugen, mamly in ihr Programm mit aufzunehmen.

Wenn du im Wochenbett liegst mit Babyblues und musst dann so Hürden nehmen wie einen Antrag zur Kostenübernahme, da bist du eigentlich schon wieder raus.

Wie ist Mamly denn aufgebaut und was bietet ihr an? Kann ich die App sowohl in der Schwangerschaft als auch im Wochenbett nutzen?

Genau, bis zum 1. Geburtstag vom Baby tatsächlich. Man registriert sich und es wird zunächst abgefragt, wie belastet man ist. Je nachdem, was dabei rauskommt, werden dann die Coachings freigeschaltet. Äußert die Frau Suizidgedanken, dann schaltet die App auf Rot, weil wir da keine angemessene Versorgung leisten können. Manche haben sich verklickt, bei manchen führen wir Gespräche, um zu schauen, was los ist. Aber wir sind keine Psychotherapeuten. Und es ist natürlich auch ein Haftungsthema. Zum Glück kommt es nicht sehr häufig vor. 
Der Fragebogen wird auch an späteren Zeitpunkten nochmal abgefragt, weil die Belastung kann ja zu Beginn der Schwangerschaft anders sein als nach Geburt. Ich kann mir in der App Coaching-Termine buchen. Die Wartezeit ist nicht über zehn Tage. Im Gegenteil, häufig haben wir gar keine Wartezeit. Und dann kriegt man von der Krankenkasse drei Termine bezahlt. Ansonsten kannst du direkt von Anfang an die komplette Bandbreite der App nutzen.

Und das ist dann so ein Mix aus Wissen und Übung, oder?

Ja, also wir haben Audioinhalte, es gibt ein paar Videoinhalte und Achtsamkeitsübungen. Wir greifen verschiedene Themen auf, zum Beispiel auch Partnerschaft oder Babyschlaf. Es gibt quasi ein Paket ‚Schwangerschaft‘ und ein Paket ‚nach der Geburt‘. In meinen Augen bieten die Coachings einfach den größten Mehrwert, auch weil sie so einfach zu buchen sind.

Seit einiger Zeit gibt es ja auch die DiGAs, die sogenannten „Apps auf Rezept“. Ist da etwas in Planung?

Aktuell sind wir keine DiGA. Es ist wird vielleicht irgendwann so sein, aber da will ich gar nicht zu viel versprechen. Für uns ist es sehr wichtig zu sagen, dass wir natürlich keine ärztliche Behandlung oder den persönlichen Kontakt ersetzen. Für Ärzte ist wiederum eine ganzheitliche Unterstützung im Alltag nicht abbildbar. Und unser Leitsatz ist, dass wir die Frauen zu jeder Tageszeit begleiten. Natürlich sind wir nicht 24/7 als Coaches zu erreichen, aber du kannst auch abends um 19:00 Uhr, wenn der Mann nach Hause kommt oder wenn du vielleicht noch berufstätig bist, bei uns ein Coaching buchen, alle zwei Wochen auch samstags. Es soll so einfach wie möglich sein, sich Hilfe zu holen.

Aus eurer Sicht: Wann sind dann wirklich digitale Angebote sinnvoll?

Wir ersetzen keine vollwertige Therapie. Für Frauen mit einer Wochenbettdepression beispielsweise, da können wir eine erste Maßnahmen sein. Aber das reicht natürlich nicht. Wir versuchen konstant unser Netzwerk aufzubauen, um Frauen gut weiter anzubinden, dort, wo sie leben. Wir haben Frauen, die kommen bereits mit einem Coaching gut aus. Bei uns geht es um die rein mentale Komponente, deswegen absolut nicht zu ersetzen mit einer ärztlichen Behandlung. Wir sehen uns als ein Add-on für die ganzheitliche Versorgung.

Unsere Psychologinnen, die sind ja auch alle vom Fach, die haben sich wirklich auf dieses Thema spezialisiert. Und da interessiert es keinen, ob man nebenbei stillt oder so. Eigentlich jeder bei uns im Team ist selbst Mutter. Es ist so das Normalste auf der Welt für uns. Egal in welcher Situation, ob man im Bett liegt oder wie man sich fühlt, alles ist einfach willkommen.

Es gibt aber auch der Hebamme die Zeit, die Frau woanders anzubinden. Unsere Psychologinnen, die sind ja auch alle vom Fach, die haben sich wirklich auf dieses Thema spezialisiert. Und da interessiert es keinen, ob man nebenbei stillt oder so. Eigentlich jede bei uns im Team ist selbst Mutter. Es ist so das Normalste auf der Welt für uns. Egal in welcher Situation, ob man im Bett liegt oder wie man sich fühlt, alles ist einfach willkommen.

Liebe Frau Böhler, herzlichen Dank für diesen Einblick und unser Gespräch!

Ich finde es sehr spannend, was sich gerade alles tut auf diesem Markt. Die DiGAs (= digitale Gesundheitsanwendungen) sind ein spannendes Feld, aber auch im Bereich Schwangerschaft & Geburt entwickeln sich gerade sehr viele Angebote. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass eine emotionale Krise immer auch ein echtes, menschliches Gegenüber braucht, Veränderungen an den Rahmenbedingungen und vieles mehr, was alleine durch eine App nicht leistbar ist. Wie so oft gibt es in meinen Augen hier kein schwarz und weiß sondern vielmehr ein Abwägen und ein sowohl als auch.

Mehr Infos zur Mamly-App findest du hier:
Webseite
Instagram

Wenn du mehr zu den DiGAs, besonders für psychische Erkrankungen, wissen möchtest, schau gerne mal in das DiGA Verzeichnis.

Ich bin gespannt auf deine Meinung! Schreib mir gerne in den Kommentaren, vielleicht hast du ja schon eigene Erfahrungen gesammelt? Oder noch offene Fragen?

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