Schadet Stress meinem Baby, Dr. Nora Schaal?

Ich hatte mich nur kurz umgedreht, ein bisschen Wäsche sortiert. Plötzlich stieg ein seltsamer Geruch in meine Nase,  irgendwie verbrannt. Ein Schauer lief mir über den Rücken und ich drehte mich um zum Herd, auf dem unsere Küchenmaschine stand und gerade zu rauchen anfing. Was zum Teufel war da los? Mein Atem beschleunigte sich und plötzlich wurde mir klar, dass die Herdplatte angeschaltet war – und unsere neue, teure Küchenmaschine von unten aufschmolz. Was dann passierte, weiß ich nicht mehr genau, denn schon längst lief ich auf Autopilot. Ich regte mich fürchterlich über mich selbst auf und dann regte ich mich darüber auf, dass ich mich aufregte, schließlich war ich doch schwanger! Und mein armes Baby bekam vermutlich gerade eine gehörige Portion Stresshormone ab. 

Eine Anekdote, die heute lächerlich erscheint. Aber der Stress war real – genauso wie die Sorgen im Anschluss um mein Baby. In der Schwangerschaft läuft unser Alltag weiter, mit stressigen und weniger stressigen Erfahrungen aber auch mit einigen zusätzlichen Sorgen und Ängsten rund um Geburt und Elternsein.

Ich habe mit Dr. Nora Schaal gesprochen, die seit nun schon 8 Jahren an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf intensiv zu den Themen Stress und Angst in der Schwangerschaft und der prä- und postpartalen Bindung zwischen der Mutter und dem Kind forscht. Sie hat dort den Forschungsschwerpunkt der perinatalen Gesundheitspsychologie mit aufgebaut und arbeitet unter anderem mit der Frauenklinik des Universitätsklinikums Düsseldorf sowie einer Praxis für Pränataldiagnostik zusammen. In unserem Gespräch habe ich viele neue Erkenntnisse über Stress in der Schwangerschaft gewonnen und Dr. Nora Schaal konnte auch konkrete Tipps für Schwangere geben, wie sie am besten mit Stress umgehen können – und warum Stress ganz vermeiden nicht sinnvoll ist.

Hallo, Frau Dr. Schaal – ich bin sehr gespannt auf Ihre Sicht auf Stress in der Schwangerschaft. Was weiß man in der Forschung darüber, wie sich Stress auf die Mutter und das Kind auswirkt?

Mir ist es erst einmal sehr wichtig zu sagen, dass ein gewisses Maß an Stress normal ist. Ich glaube das Letzte, was Frauen in der Schwangerschaft tun sollten, ist es, nichts mehr zu tun, da sich ja alles potentiell schlecht auf das Kind auswirken könnten. Darum geht es natürlich nicht. Man sollte sein Leben ganz normal weiterführen. 

Studien zeigen aber, dass erhöhter Stress Auswirkungen auf die Ungeborenen und die Neugeborenen haben kann. Wenn die Mutter sehr hohe Stresswerte hat, kann die Bindung zu dem Kind darunter leiden. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die Mutter sich bei hohem Stress während der Schwangerschaft gar nicht auf das Ungeborene einlassen kann und eine Bindung aufbauen kann. Im schlimmsten Fall kann das weitreichende Folgen haben, denn man weiß, dass die Bindung einen Einfluss auf die emotionale Bindung, Emotionsregulation und die Entwicklung psychischer Erkrankungen des Kindes hat. 

Außerdem weiß man in der Wissenschaft, dass Stress mit Geburtsangst zusammenhängt: Wenn Frauen gestresst sind, dann haben sie auch mehr Angst vor der Geburt. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Frauen sich selbst sehr stressen und sich dadurch nicht auf den natürlichen Verlauf der Geburt oder das eigene Selbstvertrauen, dass man das schafft, verlassen kann.

Erhöhter Stress kann auch zu erhöhtem Kortisol-Level der Frauen führen. Es gibt Studien, die zeigen, dass die Stressregulation vom Neugeborenen dadurch gestört ist, da sie mit Stress anders umgehen, als die Kinder von nicht gestressten Müttern.

Ich glaube das Letzte, was Frauen in der Schwangerschaft tun sollten, ist es, nichts mehr zu tun, da sich ja alles potentiell schlecht auf das Kind auswirken könnten. Darum geht es natürlich nicht. Man sollte sein Leben ganz normal weiterführen.

Psychologin und Wissenschaftlerin zu Stress in der Schwangerschaft
© Dr. Nora Schaal

Interessant! Ein Kind bekommt also noch im Bauch so eine Art Grundeinstellung für das eigene Stress-System mit, das vom Stresslevel der Mutter beeinflusst wird?

Genau. Wenn die Ungeborenen einem hohen Kortisol-/Stresslevel ausgesetzt sind, dann sind sie eher gewöhnt an diese Hormonausschüttung. Dazu gibt es verschiedene Studien: es wird zum einen argumentiert, dass die Neugeborenen an ein gewisses Maß an Stress gewöhnt sind, aber andere Studien zeigen auch, dass diese Säuglinge in Stresssituationen gestresster sind als die von nicht gestressten Müttern.

Gibt es denn Unterschiede, je nach dem, ob es sich um chronischen Stress oder ein einzelnes, größeres Stresserlebnis handelt?

Was eine größere Auswirkung hat, bzw. ob der eine Stress schlimmer ist als der andere, kann man nicht genau sagen. Meine subjektive Einschätzung ist, dass chronischer Stress eine langfristigere Auswirkung auf die HPA-Achse des Kindes hat.

Der Begriff HPA-Achse steht für die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse in unserem Körper. Durch das Zusammenspiel regeln diese Drüsen auf eine sehr komplexe Weise unsere hormonelle Reaktion auf Stress. Sie bestimmen daher auch, welche Körperfunktionen unter Stress reduziert und welche gesteigert werden. Sie hat also einen großen Einfluss auf einen gesunden Umgang mit Stress.

Man weiß, dass sich Mütter stressen und sich Sorgen über die Auswirkungen auf das Ungeborene machen, wenn es z.B. einen Todesfall in der Familie gibt. Da muss man sagen, dass man das natürlich verarbeiten muss. Dabei geht es aber auch um die Art, wie man es verarbeitet. Man kann nicht pauschal sagen, dass es bei jeder Frau, die einen Todesfall während der Schwangerschaft in ihrem Umfeld hat, zu Folgen für das Ungeborene kommt. Das ist, wie wenn sich Eltern trennen: Das eine Kind kann das gut verarbeiten, während ein anderes damit ein Leben lang nicht klarkommt. Diese Resilienzfaktoren gibt es auch in der Schwangerschaft.

Was man aus der Stressforschung ja auch sonst weiß ist, dass nicht nur das Erleben von Stress einen Einfluss hat, sondern auch, wie man sich davon erholt und ob man überhaupt Erholungsphasen hat. Ich habe eine Ihrer Studien gelesen, in der Sie verschiedene  Strategien zur Stressbewältigung getestet haben, z.B. Entspannungsübungen. 

Das stimmt, in dieser Studie konnten wir aber keinen Vorteil von spezifischen Entspannungsübungen finden. Schwangere, die sich in der gleichen Zeit einfach ausgeruht haben, verringerten ebenfalls ihr Stresslevel. In einer anderen Studie haben wir untersucht, ob es einen Unterschied macht, ob man dem Kind aktiv etwas vorsingt oder ob man nur Musik hört. Die Hypothese war, dass das aktive Singen vielleicht mehr zur Entspannung beiträgt als das einfache Zuhören. Auch hier haben die Ergebnisse gezeigt, dass sich bereits das Hören von Musik positiv auswirkt. Daraus schließen wir, dass sich die Frauen im besten Fall einmal am Tag Zeit und Ruhe für sich und die Schwangerschaft nehmen und in sich reinhören. Es müssen keine aktiven Übungen sein, wenn man normal gestresst oder ängstlich ist. Wenn man Angstpatientinnen hat, würde es wahrscheinlich Interventionen benötigen, das wurde aber noch nicht untersucht. Bei normal ängstlichen/normal gestressten Frauen haben aktive Übungen keinen Vorteil gegenüber passiven.

 

Ich glaube das Letzte, was Frauen in der Schwangerschaft tun sollten, ist es, nichts mehr zu tun, da sich ja alles potentiell schlecht auf das Kind auswirken könnten. Darum geht es natürlich nicht. Man sollte sein Leben ganz normal weiterführen.

Foto: Kevin Schmitz

Der Zusammenhang von Stress mit Angst vor der Geburt interessiert mich auch sehr. Können Sie dazu etwas aus Ihrer Erfahrung sagen? 

Aktuell untersuchen wir den Einfluss von Geburtsangst auf den Geburtsverlauf. Geburtsangst steigt, je näher man zur Geburt kommt. Am Anfang macht man sich wahrscheinlich noch nicht so viele Gedanken, aber je näher die Geburt rückt, desto mehr Geburtsangst hat man. Haben Frauen, die mehr Geburtsangst haben, auch häufiger einen sekundären Kaiserschnitt? Was wir sehen ist, dass fast 20% der Frauen wirklich erhöhte Geburtsangst haben. Ein gewisses Maß an Angst vor der Geburt ist natürlich normal. Aber die Ergebnisse zeigen, dass dieses Thema mehr Beachtung finden muss. 

In einer anderen Studie sprachen die Autor:innen davon, dass die Stressreaktion bei Schwangeren im Laufe der Schwangerschaft grundsätzlich abnimmt. Die Idee ist, dass dies quasi eine Schutzfunktion des Körpers ist. Habe ich das richtig verstanden?

Ja genau, das ist auch so. Das hat auch Professor Sonja Entringer aus Berlin gezeigt. Schwangere sind im letzten Trimester weniger gestresst als im ersten oder zweiten Trimester. Das scheint schon so, dass der Körper stressresistenter wird. Frau Entringer hat mal in einem Vortrag gesagt, dass es eigentlich Mutterschutz für das erste Trimester geben sollte. Denn da haben die Einflüsse von außen vielleicht viel stärkere Auswirkungen.

Da brauchen wir aber noch mehr Forschung. Aber es ist natürlich schon so, dass die sensible Phase der Schwangerschaft ganz am Anfang ist. 

Ja, klar. Da bildet sich erst alles aus.

Genau. Da hat das Ungeborene die krasseste und die schnellste Entwicklung und wenn da noch Faktoren dazu kommen, hat das natürlich einen großen Einfluss auf die Entwicklung. Ich würde den Abfall des Stresses im Laufe der Schwangerschaft auch ein bisschen so erklären, dass sich der Körper so auch auf die Geburt als ein großes Stressereignis vorbereitet und die Stressreaktion deswegen gedämpft wird.

Sie haben es ja bereits kurz erwähnt: Ein weiterer Schwerpunkt Ihrer Forschung ist die Wirkung von Musik rund um die Geburt und das Singen mit dem Baby. Haben Sie da Tipps für werdende Eltern?

Es gibt Studien, die zeigen, dass es förderlich für die Bindung ist, wenn man schon in der Schwangerschaft zu dem Kind singt. Für viele ist die Schwangerschaft gerade am Anfang sehr abstrakt. Man spürt das Baby noch nicht und irgendwann mal kommen dann die ersten Tritte. Das Singen ist einfach noch eine andere Kommunikationsform mit dem Ungeborenen. Aber auch hier geht es eher darum, dass man sich die Zeit nimmt und sich vorstellt, dass man jetzt schon mit dem Baby in seinem Bauch kommunizieren kann. Ich glaube, dass wenn man sich abends hingesetzt hätte und dem Kind eine Geschichte vorgelesen hätte, es die Bindung genau so positiv beeinflussen würde. 

In einer anderen Studie konnten wir zeigen, dass die Angst der Frauen reduziert wurde, wenn sie bei einem Kaiserschnitt Musik gehört haben. Aber das ist natürlich auch, wenn man das kritisch sehen möchte, einfach ein Ablenkungsfaktor. Also wenn man die Musik hört, kann man sich auf etwas konzentrieren, was nicht die OP ist. Deswegen muss man da auch ein bisschen differenzieren. 

Also es gibt erstaunlich viele Frauen, die wirklich erhöhte Geburtsangst haben. Ein gewisses Maß an Angst vor der Geburt ist natürlich normal. Aber die Ergebnisse zeigen, dass dieses Thema mehr Beachtung finden muss.

Was können Sie noch empfehlen, wie können wir besser mit Stress umgehen? Was kann ich tun, um meinem Kind eine eher entspannte HPA-Achse mitzugeben?

Erstmal sagt man ja auch „Eine glückliche Mutter bekommt glückliche Kinder.“, also sollte man als werdende Mutter erstmal darauf achten, dass es einem selber gut geht und dann ist es auch schön, wenn man sich dann aktiv überlegt, was man auch schon in der Schwangerschaft für Rituale einführt. Wie z.B., also das machen ja auch viele Frauen, dass man sich abends den Bauch eincremet, das ist ja auch schon ein Ritual. Und da kann man dann ja auch schon mit dem Kind sprechen. Dann könnte man natürlich auch zum Kind singen, ich empfehle das schon! Man kann auch jeden Abend eine Spieluhr auf den Bauch halten oder spazieren gehen. Einfach etwas, was man regelmäßig für sich und das Kind macht.

Man sollte aber auch nicht versuchen, etwas krampfhaft in seinen Alltag zu integrieren, was einem nicht liegt. Wenn man etwas nicht mag und sich dann dadurch quält; ich glaube das ist definitiv eher kontraproduktiv.

Und das alles ist natürlich beim ersten Kind immer viel einfacher als beim zweiten Kind, da die Zeit für sich und die Schwangerschaft dann häufig zu kurz kommt.

Das stimmt. Aber was ist, wenn ich unvermeidbare größere Stressoren habe, die von außen auf mich zukommen. Was kann ich dann machen? 

Das ist eine sehr gute Frage. Also das Schlimmste ist, dass man sich dann nochmal zusätzlichen Stress macht wegen dem Stress. Also man muss dann einfach sagen: Okay, diese Situation ist jetzt eingetreten. Ich darf trauern, z.B. wenn es ein Todesfall ist. Und gleichzeitig versuche ich, das Beste aus der Situation zu machen. Das hat dann ja nichts mit der Schwangerschaft zu tun, das sollte man auch so im Leben. Man kann sich selbst sagen: Das gehört jetzt zu meiner Schwangerschaft dazu und ich kann im besten Falle etwas Positives daraus ziehen, z.B. dass ich dem Baby dann von der verstorbenen Person erzähle.

Wie Sie schon gesagt haben: Stress gehört im Leben einfach dazu und die Frage ist, wie man damit umgeht.

Liebe Frau Dr. Schaal, vielen Dank für dieses spannende Gespräch und den Einblick in Ihre Arbeit!

 

Das war der erste Teil meines Gesprächs mit Dr. Nora Schaal – ein spannender Einblick in die Forschung und einige neue Erkenntnisse für den Alltag, oder wie geht es euch damit? Hinterlasst mir gerne in den Kommentaren, was hat euch am meisten überrascht?

Das Gespräch ging noch weiter, denn die aktuelle Forschung zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Schwangere haben wir ebenfalls besprochen – bald gibt es mehr dazu im Verrückt vor Glück-Blog! 

Du möchtest lernen, wie du besser mit Stress umgehen kannst? Oder wie du bereits in der Schwangerschaft die Bindung zu deinem Baby stärkst? Dann vereinbare jetzt einen Gesprächstermin mit mir!

Beitragsfoto von Suhyeon Choi via Stocksnap.io

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