Ich weiß noch, dass ich wenige Tage nach der Geburt meiner ersten Tochter immer noch nicht fassen konnte, wie mein Bauch aussah und sich anfühlte. So groß und leer, einfach fremd und seltsam. Und dass ich überhaupt keine Lust auf Besuch hatte, selbst als eine meiner besten Freundinnen an der Tür klingelte. Oder als ich den ersten Spaziergang mit Kinderwagen durch den Park kein bisschen genießen konnte, sondern ultra angespannt und gereizt war. Im Nachhinein würde ich nicht unbedingt sagen, dass ich unrealistische Erwartungen hatte – eher hatte ich überhaupt keine Vorstellung davon, was mich erwartete. Genau über diese (fehlenden) Erwartungen, Besuche im Wochenbett und andere Herausforderungen habe ich mit Lea Borgmann gesprochen.
Lea Borgmann hat 2020 gemeinsam mit ihrem Mann the weeks gegründet und bietet dort Bio-Wochenbetteinlagen und Pflegeprodukte an. Sie klärt Frauen auf eine sehr offene und ehrliche Art über diese Zeit auf und gibt ihnen das nötige Wissen an die Hand. Lea und ich kennen uns über ihren Podcast, in den sie mich zu einem Gespräch über Babyblues und Wochenbettdepressionen eingeladen hatte. Diesmal durfte ich meine Fragen an sie loswerden und euch an diesem spannenden Gespräch teilhaben lassen:
Hallo Lea! Was ist deine persönliche Motivation und Geschichte hinter
the weeks?
Ich bin Gesundheitswissenschaftlerin und seit fast genau 3 Jahren Mutter. Ich habe mich in meiner Schwangerschaft viel mit der Schwangerschaft selbst und ziemlich viel mit der Geburt befasst, weil ich um die Vulnerabilität in dieser Zeit wusste.
Die Zeit rund um die Geburt wird (neben einigen anderen Phasen und Ereignissen im Leben) als Zeit mit "erhöhter Vulnerabilität" (=Verletzlichkeit, Verwundbarkeit) bezeichnet. Damit ist gemeint, dass sich durch die besondere Beanspruchung und neuen Herausforderungen das Risiko erhöht, eine psychische Erkrankung zu entwickeln oder auch Belastungsfaktoren und Stressereignisse eine stärkere Auswirkung haben.
Info: Was heißt "Vulnerabilität"?
Und dann seid ihr nach Hause gekommen…
Bei uns waren die Umstände auch sehr speziell, das war im April 2020 und es war gerade der erste Lockdown. Die ersten 2 bis 3 Tage war ich noch so richtig klassisch Endorphin-high und auf einmal lag ich im Wochenbett und dachte mir „What the fuck? Was ist das?“ Ich wusste nichts. Ich wusste ungefähr alles über die Geburt. Ich wusste nichts über das danach. Meine Hebamme war toll, aber es ging eigentlich immer nur darum: Was macht man mit diesem Kind? Wie trägt man es? Wo schläft es? Was braucht es? Diese Dinge haben mich wahnsinnig beschäftigt und ich wusste ungefähr nichts darüber, was mit mir passiert. Ich dachte, nach der Geburt ist alles durch. Klar, Wochenfluss hatte ich irgendwie schonmal gehört. Aber was emotional, psychisch, aber auch körperlich passiert, war mir total unklar und ich war richtig überwältigt. Und das nicht im positiven Sinn. Es war sensationell stark das Gefühl von „Wieso hat mir das keiner gesagt? Wieso gibt es keine Kommunikation darüber?“ Und auch über „Kleinigkeiten“, wie die Tatsache, dass ich nicht von Sekunde 1 an dachte, das ist das Schönste was mir in meinem Leben je passiert ist und jetzt ist dieses Kind da und alles ist gut. Sondern dass da ganz viel Irritation war. Und da habe ich mir gedacht: Das kann doch nicht sein, dass es allen Frauen so geht. Und dann haben wir the weeks gegründet. Einen großen Teil von the weeks machen ja auch die Produkte aus. Ich konnte diese ganzen super fancy Bio-Kindersachen kaufen. Und für mich selbst habe ich irgendwie im untersten Regal in der Apotheke nach Wochenbetteinlagen gewühlt, die neben den Erwachsenenwindeln waren. Das ist auch keine schöne Erfahrung. So ganz hinten ganz unten, das fand ich unangenehm und überhaupt nicht wertschätzend auch meiner Leistung gegenüber. Diese starken Gefühle, die ich da hatte, haben dazu geführt, dass es heute the weeks gibt.
„What the fuck? Was ist das?“ Ich wusste nichts.
Ich wusste ungefähr alles über die Geburt.
Ich wusste nichts über das danach."Lea Borgmann
Ich glaube, so wie dir geht es sehr vielen Frauen. Wie bist du dann von diesen Erfahrungen zu der Planung und Herstellung der Produkte gekommen?
Mir ging es am Anfang vor allem um die Wochenbetteinlagen, denn das ist so ein Produkt, das braucht man ja wirklich nur in dieser Zeit und so auch in dieser speziellen Form. Man braucht eine ganz besondere Produkthaptik, weil Wochenbetteinlagen atmungsaktiv sein müssen. Es war natürlich klar, dass wir die nicht selber produzieren können und dann sind wir einfach auf die Suche gegangen nach Herstellern. Wir hatten Glück und sind relativ schnell an gute Produktionspartner:innen gelangt. Wir haben vor Kurzem auch mit einer Pflegelinie angefangen. Auch da sind es einfach viele Gespräche und viel Recherchearbeiten und dann ein langsames Rantasten.
Ein großer Bereich von the weeks ist ja auch die Aufklärung: Was ist dir besonders wichtig, was die Frauen für sich mitnehmen?
Ich glaube das Allerwichtigste ist mir, dass es aus meiner Sicht niemals und in keiner Frage rund um die Themen Schwangerschaft und Wochenbett eine singuläre Lösung gibt. Die Hebamme Jana Friedrichs hat ein Buch rausgebracht, in dem sie einfach Geburtsberichte aufgeschrieben hat. Relativ unkommentiert. Und ihre Idee dahinter ist es zu sagen, es gibt nicht nur die eine perfekte Geburt, sondern für jede Frau ist eine andere Geburt gut und Geburtserfahrungen sind sehr unterschiedlich. Auch der sekundäre Kaiserschnitt, der ja häufig als so unschönes und belastendes Erlebnis beschrieben wird, kann ein positives Geburtserlebnis sein. Das ist uns von the weeks auch wichtig: wir sagen nicht, macht es so oder so, sondern wir sind letztendlich eine Plattform, die sagt: Mach es so, wie es für dich passt. Und wenn du 4 Monate niemanden sehen willst nach der Geburt, dann ist das deine Entscheidung. Und die kann dir auch niemand abnehmen. Aber wenn sich das für dich gut anfühlt, dann mach das. Es ist deine Entscheidung. Und da gibt es auch kein Richtig und kein Falsch. Ich möchte Frauen dazu ermutigen, sich von Erwartungen freizumachen. Ich weiß, wie schwierig das ist. Man hat wahrscheinlich gerade körperlich das Anstrengendste gemacht, was man jemals körperlich in seinem Leben machen wird. Danach muss man ohne Pause direkt anfangen, ein Baby zu versorgen. Aber genau dann ist die Frage: Was brauche ich? Und was würde mir gerade guttun? extrem wichtig. Genau das soll auch unser Claim „Alles ist Okay“ widerspiegeln. Es ist auch okay, Dinge richtig kacke zu finden. Es ist genauso okay, auch mal nicht in der Lage zu sein, die eigenen Grenzen zu wahren und die eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren. Das geht ja auch nicht immer. Die Message ist, ich gebe hier mein Bestes und das ist gut genug.
"Man hat wahrscheinlich gerade körperlich das Anstrengendste gemacht, was man jemals körperlich in seinem Leben machen wird und muss danach ohne Pause direkt anfangen, ein sich selbst nicht versorgendes Baby zu versorgen.
Aber genau dann ist die Frage: Was brauche ich? Und was würde mir gerade guttun? extrem wichtig."Lea Borgmann
Absolut! Sehr viele Frauen möchten gerne den Erwartungen entsprechen und haben noch nicht verinnerlicht, dass alle oder zumindest viele Wege okay sind und „gut genug“ völlig ausreicht.
Ich glaube, es gibt mehrere Perspektiven, aus denen der Druck kommen kann. Von außen aber auch aus sich selbst heraus. Ein häufiges Thema bei uns ist zum Beispiel der Besuch im Wochenbett. Ganz viele Familien möchten nicht sofort Besuch bekommen. Und da kommen dann ganz häufig verschiedene Dinge zusammen: Einerseits der Wunsch der eigenen Eltern, das Baby zu sehen und die eigene Vorstellung davon, im Kreise der Familie das kleine Baby zu begrüßen. Aber dann merkt man, dass man es in der aktuellen Situation gar nicht so schön findet. Das widerspricht sich dann natürlich. Dann hat man die eigenen Erwartungen und die anderen Erwartungen usw. und da kommt dann häufig die große Krise.
Die Frauen haben Angst vor Konflikten und keine Energie, um in diese Konflikte zu gehen. Man kann versuchen, ein Nein zu kommunizieren, ohne es zu begründen, um weniger Angriffsfläche zu bieten, aber trotzdem wird dann von der anderen Seite häufig Enttäuschung oder Wut kommuniziert. Und das in so einer vulnerablen Situation und einer selbst so aufgewühlten Situation auszuhalten ist natürlich schwer. Das verstehe ich total. Aber deswegen geben dann viele Frauen nach und stimmen dem Besuch zu. Und da finde ich kommt das „Alles ist ok“ ins Spiel. Wenn das für euch in dem Moment der einfachere Weg ist, dann macht das so, aber man muss auch immer ein bisschen gucken, wie es einem danach geht.
Dieses Thema kenne ich persönlich und aus meinen Beratungen auch sehr gut! Hast du denn vielleicht noch einen konkreten Tipp, was du Frauen raten würdest, wie sie mit diesem Thema umgehen sollen?
Mein Gefühl ist es, dass es einfach sehr unterschiedlich in den Familien ist, also was erwartet wird, was die Eltern oder Großeltern gerne möchten. Viele Frauen haben uns geschrieben, dass sie eine externe Instanz, wie z.B. die Hebamme zur Hilfe gezogen haben. Dann kann man sagen „Die Hebamme hat gesagt, ich soll liegen oder darf keinen Besuch haben, wegen Keimbelastung/Bakterien…“, die denken sich dann einfach etwas aus. Damit haben viele gute Erfahrungen gemacht. Andere machen es so, dass sie gar nicht ihren Stichtag sagen. Entweder wird nur der Monat genannt, oder sie denken sich einfach irgendeinen Stichtag aus, der nach dem eigentlichen Stichtag liegt. Und dann kommt das Kind schon früher und es weiß einfach noch keiner. Und das muss jede Frau und jedes Paar und jeder schwangere Mensch für sich entscheiden, ob das eine Möglichkeit ist. Es gibt also nicht nur den einen Tipp. Die Menschen kommen auf die großartigsten Ideen in diesem Struggle.
Du hast ja schon ein bisschen gesagt, du selber hattest vor allem Wissen zur Schwangerschaft und zur Geburt, aber zum Wochenbett wusstest du fast gar nichts. Diese Erfahrungen teile ich auf jeden Fall. Was würdest du sagen, woran liegt das? Warum sprechen wir nicht darüber?
Warum da gesellschaftlich nicht drüber geredet wird, da könnten wir jetzt wahrscheinlich sehr lange drüber sprechen. Das hat auch was mit dem Mutterbild unserer Gesellschaft zu tun. Da ist kein Platz für eine struggelnde, sich nicht die ganze Zeit aufopfernde, aber auch liebende Mutter. Und wenn man offen und ehrlich übers Wochenbett reden würde, würde man auch über die schwierigen und unangenehmen Seiten reden. Wenn man „Wochenbett“ googelt und sich die Bilder anguckt, gibt es nichts zwischen „Verliebt das Baby angucken“ und „Wochenbett-Depression und heulend auf dem Bett liegen“. Das sind die beiden Extreme, die es gibt und nichts dazwischen. Und das finde ich ist ein Problem, dass durch das gesellschaftliche Bild, was wir zum größten Teil haben, merkwürdige und unrealistische Erwartungen entspringen. Und dass alles immer so unter dem Deckmantel „Ein Lächeln von deinem Kind und alles ist vergessen“ steht, ist glaub ich ein starkes Narrativ. Ich finde das richtig weird und toxisch. In so einem Narrativ gibt es dann keinen Raum, um zu sagen, ich finde das aber trotzdem richtig anstrengend und es reicht mir nicht, ein Lächeln zu bekommen. Das wiegt nichts auf. Trotzdem ändert das nichts daran, dass ich mein Kind liebe. Dass das alles parallel existiert, für so eine Komplexität und Uneindeutigkeit ist glaube ich gar kein Raum.
Hast du eine Idee, wie es besser laufen könnte? Wie können sich Frauen vorbereiten?
Ich persönlich höre lieber vorher, dass etwas auch anstrengend sein kann. Ich habe dann eine realitätsnähere Vorstellung von dem, was kommt. Und man ist gerade in den ersten Tagen nach der Geburt nicht in der Lage zu gucken: „Was brauche ich jetzt eigentlich? Und wo bekomme ich Hilfe her?“ Denn es können Probleme vom Stillen bis zu mentalen Problemen auftreten. Wenn man vorher aber nicht weiß, was einen erwartet, kann man sich vorher nichts organisieren. Und das ist dann wirklich richtig problematisch. Vor ein paar Tagen hat uns eine Frau geschrieben, dass sie ihr zweites Kind erwartet und sich jetzt schon um alles gekümmert hat. Sie hat sich Nummern von einer Stillberaterin, Osteopathin und Physiotherapeutin aufgeschrieben. Und das ist sehr wertvoll, wenn man weiß, an wen man sich im Problemfall wenden kann.
Und man kann sich auch schon mit eigenen Erwartungen und ganz eigenen Herausforderungen befassen und auch in der Paarbeziehung darüber in den Dialog gehen. Du hattest in unserem Podcastgespräch gesagt, dass man sich über seine eigenen Signale Gedanken machen kann und sich überlegen kann: „Was tut mir denn gut? Und was mache ich, wenn es mir nicht gut geht?“ Bei der einen Frau ist es vielleicht die warme Mahlzeit, bei der anderen vielleicht ein Spaziergang und die dritte braucht eine warme Dusche. Also was auch immer. Aber das erfordert natürlich eine Auseinandersetzung damit, das womöglich nicht alles so magic wird nach der Geburt.
"Wenn man „Wochenbett“ googelt und sich die Bilder anguckt, gibt es nichts zwischen „Verliebt das Baby angucken“ und „Wochenbett-Depression und heulend auf dem Bett liegen“. Das sind die beiden Extremen, die es gibt und nichts dazwischen."
Lea Borgmann
Ich kann mir auch vorstellen, dass manche gehemmt sind, mit ihren Freund:innen offen zu sprechen, aus Scham aber auch, weil sie niemandem die Illusionen und freudige Erwartung nehmen möchten.
Genau. Aber man kann ja auch immer fragen, was die andere Person erfahren möchte. Es gibt ja auch viele Menschen, die ein großes Bedürfnis haben, ihre eigene Geburtsgeschichte zu teilen. Ich finde, es ist ein starker Bias hin zu nicht so schönen Geburtserlebnissen. Das ist wahrscheinlich auch dann für die Frauen immer wieder eine eigene Verarbeitung und genauso finde ich ist es beim Wochenbett. Zum Beispiel Stillschauergeschichten. Ich finde es schlimm, wenn Frauen gut und positiv ins Wochenbett starten und vielleicht die ersten Tage oder die erste Woche relativ problemlos verlaufen und dann kommt ganz häufig dieses „Jaja, warte nur ab, jetzt schläft es noch, aber lass uns in drei Monaten nochmal sprechen.“ Und das ist Angstmachen, finde ich. Das hat keinen Informationscharakter. Das ist ein reines „Es läuft gut bei dir, es kann auch richtig scheiße werden.“ Und ich finde, da kann man immer, bevor man seine eigene Geschichte teilt, auch fragen, ob das Gegenüber die Geschichte auch hören möchte. Eigentlich finde ich diesen Dialog untereinander toll und wichtig. Aber das muss natürlich in einem guten Rahmen passieren.
Zum Abschluss unseres Gesprächs möchte ich natürlich noch wissen…was ist denn bei the weeks noch geplant? Gibt es ein neues Projekt?
Momentan gibt es die beiden großen Komponenten Produkte und Aufklärung. Wir bekommen auch sehr positive Rückmeldungen auf die Produkte und auch über Instagram bekommen wir sehr viele Nachrichten dazu, wie sehr sich die Frauen mit unseren Informationen auf das Wochenbett vorbereitet haben. Und das hat uns dazu bewogen, das Ganze noch besser zu machen: Wir arbeiten seit einigen Monaten im Hintergrund an einer App, die schon vor der Geburt beginnt und die Frauen bis acht Wochen nach der Geburt Informationen rund um das Thema Wochenbett liefert. Wir möchten fundierte Informationen bereitstellen, aber auch das Gefühl vermitteln „Alles ist okay“. Damit erhoffen wir uns, dass Frauen nicht anfangen, etwas zu googlen und in angstmachenden Mütterforen abstürzen.
Und ganz generell wollen wir unser Produktangebot erweitern, dabei auch Tabuthemen normalisieren und den Frauen ein schönes Kauferlebnis bieten, selbst wenn es um eine Hämorrhoiden-Salbe geht ;).
Liebe Lea, vielen Dank für deine spannenden Gedanken und Erfahrungen zu diesen Themen und unser Gespräch!
Ich hoffe, für euch war dieses Gespräch genauso spannend, wie für mich – mehr zu Lea & the weeks findet ihr auch auf ihrer Webseite und ihrem Instagram-Account, den ich sehr empfehlen kann!
Hinterlasst mir doch in den Kommentaren gerne, was euch im Wochenbett überrascht hat oder was ihr gerne vorher gewusst hättet!
Du möchtest an deinen eigenen Erwartungen etwas ändern und lernen, was es heißt „gut genug“ zu sein? Oder möchtest du dich realistisch aufs Wochenbett vorbereiten? Dann vereinbare jetzt einen Gesprächstermin mit mir!
Beitragsfoto von Jenna Norman via unsplash.com