Wir kennen alle die spektakulären Filmgeburten, in denen fast immer die Fruchtblase zuerst platzt, die Frau dann im Krankenhaus mit einem OP-Hemdchen und schmerzverzehrtem Gesicht pressend auf dem Rücken liegt. Vielleicht schreit sie auch, ihr Partner fällt in Ohnmacht und….ja, was kommt dir da noch so alles in den Kopf? Mit welchem Bild von Geburt bist du in deine Schwangerschaft gestartet, wie hat es sich währenddessen verändert und wie sieht es heute aus, mit deiner eigenen Geburtserfahrung im Gepäck?
Jetzt im Rückblick betrachtet, habe ich viele solcher Szenen in Filmen und Serien gesehen. Zum Glück aber eben auch viele positive Geschichten aus meiner Familie gehört und bei einem Praktikum mit 18 Jahren im Kreißsaal meine ersten Geburten miterleben dürfen – so dass ich insgesamt ein zuversichtlich-realistisches Bild von Geburt hatte.
Die beiden Illustratorinnen Martina Bürger und Elisa Elß hat die Darstellung von Geburt in den Medien so gestört, dass sie sich dachten: „Das geht auch anders!“ Sie gründeten mit The Image of Birth eine Initiative, die sich für eine bessere Darstellung von Geburten in den Medien einsetzt.
Liebe Martina, liebe Elisa - auf eurer Webseite schreibt ihr, dass euch bei manchen Film- und Fernsehbeiträgen rund um Geburt die Fußnägel hochrollen - was meint ihr damit?
Es gibt viel zu viele Geburtsszenen in denen Geburt „benutzt“ wird, um den Zuschauenden den nächsten Lachflash abzuringen (Vater fällt beim Blick zwischen die Beine seiner Frau theatralisch zu Boden, Hebamme brüllt in einem lustigen Akzent militärisch anmutende Befehle usw.) oder der Story eine Adrenalin steigernde, dramatische Wendung zu geben (Panik, sobald die Fruchtblase platzt, …). Wenn dann auch noch fachlich falsche Informationen weitergegeben werden (z.B. Frau MUSS sich unter der Geburt auf den Rücken legen; ein/e Arzt/Ärztin leistet Geburtshilfe statt einer Hebamme; das Kind liegt in Beckenendlage, also „falsch“ herum und kann nicht geboren werden => Lebensgefahr), dann ist das zwar äußerst unterhaltsam, füttert aber weiter das destruktive, überdramatisierte (manchmal auch das überromantisierte) „Image“ von Geburt. Besonders dann, wenn eigentlich eine ganz „normale“ sogenannte physiologische Geburt gezeigt werden soll. Die Ausnahme wird in unserem Kopf zur Regel und das Gefühl für die Realität und für Gefahreneinschätzung völlig verschoben. Durch solche Bilder haben wir Drama und Gewalt in Bezug auf Geburt normalisiert und internalisiert.
Was gehört für euch zu "Empowerment"? Was ist ein "bestärkendes" Bild von Geburt?
Grundsätzlich kann man Geburt auch als Statuspassage, Initiation oder Transformation verstehen, die ein äußerst unterschätztes Potential birgt. Die durch eine Geburt empfundene Kraft bzw. „Power“ prägt den neuen Lebensabschnitt, und viele Frauen empfinden durch eine bestärkende Geburt das Gefühl von Selbstermächtigung. Sie erfahren ein gesteigertes Selbstwertgefühl sowie eine stärkere Fähigkeit zur Resilienz. Jana Friedrich beschreibt dieses Potential mit ihrer Wortneuschöpfung „Birth esteem“ (Geburts-Wertschätzung) und dem Konzept dahinter ausführlicher. Ein bestärkendes Bild von Geburt zeigt also eine selbstbestimmte und aktive Gebärende, ganz im Sinne von „Birth is not performed on women, but by women!“ (Die Geburt wird nicht an Frauen, sondern von Frauen durchgeführt). Sie und ihr Kind – also MutterBaby als symbiotische Einheit, als Team – stehen inhaltlich im Zentrum des Geschehens (jedoch nicht unbedingt optisch in der Bildmitte). Die Anderen (Begleitung und Geburtshelfende) werden von der Gebärenden eingeladen, sie bei ihrer Geburt zu unterstützen (im Gegensatz zur Bittstellerin, die um die Hilfe und die Gunst/Kompetenz der Helfenden hoffen und bitten muss).
Grundsätzlich kann man Geburt auch als Statuspassage, Initiation oder Transformation verstehen, die ein äußerst unterschätztes Potential birgt. Die durch eine Geburt empfundene Kraft bzw. „Power“ prägt den neuen Lebensabschnitt (...).
Martina Bürger & Elisa Elß
Wie würde Geburt in den Medien in eurer Idealvorstellung dargestellt werden?
Am besten so unspektakulär und langweilig wie möglich – als starkes Gegengewicht zur Dramatik, vor allem in der Unterhaltungsbranche. In unserem bald erscheinenden Leitfaden zur zeitgemäßen Geburtsvisualisierung in den Medien haben wir uns alte Geburtsdarstellungen zum Vorbild genommen und zu unserer Leitformel gemacht: 3forB, das heißt wir haben eine aktive MutterBaby im Zentrum der Aufmerksamkeit, begleitet von (meist 2) passiven (aber aufmerksamen und kompetenten) Geburtsbegleitenden und -helfenden. In unserem idealen Bild einer physiologischen Geburt haben wir diese 3 Hauptprotagonist:innen, ganzheitlich dargestellt (von Kopf bis Fuß), eingebettet in eine ruhige, unaufgeregte und intime Atmosphäre. Alle sind entspannt und MutterBaby „arbeiten“ gemeinsam – frei von äußerlichen Interventionen – in aufrechter Gebärhaltung.
Welche Empfehlung habt ihr für Schwangere zum Medienkonsum? Ist es dann schon zu spät oder ist dies eine besonders empfindliche Zeit?
Das ist eine heikle Frage. Grundsätzlich sollte mit Medienkonsum achtsam umgegangen werden, auch ohne Schwangerschaft. Doch gerade während dieser Umbruchszeit – die so voller Veränderungen ist – sind wir mitunter emotional instabil. Wenn wir dann auch noch Medien konsumieren, die ein negatives oder gewaltvolles Bild von Geburt abbilden, kann sich das sehr negativ auf die eigenen inneren Bilder auswirken und damit auf die Zuversicht im Hinblick auf die eigene Geburt. (Gilt übrigens auch für Väter/Partner:innen!)
Anders herum wecken allzu weichgespülte und sehr romantische Darstellungen übertriebene Erwartungen und fördern „Performance Druck“. Dieser Effekt funktioniert also in beide Richtungen.
Schwangere brauchen also Aufklärung darüber, welche Infos sie für voll nehmen können, und welche zu einem bestimmten Zweck (Drama, Provokation) inszeniert werden.
Eine Auseinandersetzung mit Schwangerschaft/Geburt und eine selbstbestimmte Aufklärung halten wir für super wichtig. Entscheidend ist eben, wo nach Informationen gesucht wird. „Offline“ ist es das Gleiche: der Geburtsvorbereitungskurs im Krankenhaus ist oftmals ein anderer als in einem Geburtshaus.
Mittlerweile ist die Medienlandschaft das Zentrum der Wissensvermittlung – und genau deswegen tragen Bildschöpfer:innen und -vertreiber:innen so eine große Verantwortung bei der medialen Darstellung von Geburt, egal in welchem Medium.
Würden wir idealerweise schon in den Schulen anfangen, ein anderes Bild zu vermitteln? Wie würde das aussehen?
Absolut! Unser Bild von Geburt prägt sich sehr früh. Schon bei den ganz Kleinen ist es, spätestens wenn jemand oder sie selbst ein Geschwisterchen erwarten, ein großes Thema und sorgt für begeisterte Fragen darüber, wo die Babys denn nun herkommen. Entsprechend eindrücklich sind auch sämtliche Darstellungen von Schwangerschaft und Geburt, die sich speziell an Kinder richten, aber auch die, die sich nicht explizit an sie richten. Wir sind umgeben von Geburtsdarstellungen und -erzählungen – ob nun aus Büchern oder dem Fernsehen oder von uns nahestehenden Personen – und diese sind blitzschnell aufgeschnappt und verinnerlicht. Noch dazu kommt der in unserer Gesellschaft Scham behaftete Umgang mit Sexualität generell und allem was damit zusammenhängt. Geburt wird selten überhaupt thematisiert und wenn dann eher als traumatische Erfahrung. Ältere Geschwisterkinder bei einer Geburt dabei zu haben und sie daran teilnehmen zu lassen, ist wohl eine der polarisierendsten Vorstellungen überhaupt. Dabei sind Kinder noch viel enger mit dem Lebensursprung und den natürlichen Abläufen verbunden als Erwachsene. Die Geburt z.B. als eklig zu definieren, passiert erst, nachdem Kinder negativ konnotiert darauf hingewiesen werden. Der Ekel und die Angst vor der Geburt werden von den Erwachsenen adaptiert (Imitation).
In der Schule mit der Vermittlung eines anderen Bildes anzufangen ist fast schon zu spät. Bis dahin haben die meisten Kinder schon ein festes Bild. Doch die Schule kann dem aktiv entgegenwirken, durch wertvolle Aufklärungsarbeit, idealerweise durch didaktisch und fachlich kompetente Hebammen, Doulas und Ähnliche.
Ziel muss aber sein, die mediale Bilderwelt – mit der Kinder so früh in Berührung kommen – grundsätzlich zu optimieren und Kindermedien (Bilderbücher, Kinder- und Schulbücher, Kindersendungen) gezielt darauf auszurichten.
Wir sind umgeben von Geburtsdarstellungen und -erzählungen - ob nun aus Büchern oder dem Fernsehen oder von uns nahestehenden Personen - und diese sind blitzschnell aufgeschnappt und verinnerlicht.
Martina Bürger & Elisa Elß
Wie kann man gleichzeitig realistisch, aber nicht angsteinflößend eine Geburt darstellen?
Da können wir nur zurückfragen: inwieweit ist denn die Realität einer komplikationslosen Geburt angsteinflößend? Wo kommt da die Angst her? Eine physiologische Geburt ist – von außen betrachtet – kraftvoll, respektvoll und intim. Intensiv und anstrengend, ja. Aber nie angsteinflößend. Wenn eine Geburt abweichend einer Physiologie dargestellt werden muss, darf das nie einfach so geschehen, sondern bedarf immer einer Einordnung. Eine Pathologie muss als „Sonderfall“ deklariert bzw. kenntlich gemacht werden. Und schon wird klar, auch wenn eine Komplikation vorliegt – etwas, das natürlich Sorge und Angst mit sich bringen kann – dass dies ein Sonderfall ist und nicht die Regel und Angst nichts mit einer physiologischen Geburt zu tun hat.
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Wie wichtig sind neben Bildern auch unsere Wortwahl? Wie beeinflussen Worte unsere Wahrnehmung?
Meeeega wichtig – Sprache schafft Bilder schafft Wirklichkeit!
Nehmen wir allein das Wort „entbinden“. Dabei wird ein passiver Vorgang beschrieben, der „an der Frau/Gebärenden“ getan wird. Die Mutter-Kind-Verbindung wird gekappt (Ent-Bindung). Bei „gebären“ sieht es anders aus. Geboren wird aktiv. Es wird „von der Frau/Gebärenden“ getan, die Verbindung bleibt erhalten und nur in einen anderen Zustand transformiert.
Ein anderes Beispiel ist das Wörtchen „Fehler“ in „Fehlgeburt“. Allein diese Wortwahl klingt nach Schuldzuweisung. Die Etablierung der Bezeichnung „Kleine Geburt“ wird dem Ereignis gerechter, denn auch diese (Sternen)Kinder werden geboren. Auch die Abkehr von „Kaiserschnitt“ zu „Bauchgeburt“ ist hier ein gutes Beispiel.
Diese schrittweise Zurückgewinnung der Begriffe, weg von der bisherigen Sicht der männlich geprägten Geburtsmedizin, hin zur weiblichen, körperlichen Perspektive, ist auch aus einer feministischen Sicht enorm wichtig.
An wen richtet ihr euch mit "The Image of Birth"? Was bietet ihr an?
„The Image of_Birth“ richtet sich an Medienschaffende, also alle, die in irgendeiner Weise in den Genuss kommen jemals eine Geburt zu visualisieren: Fotograf:innen, Illustrator:innen, Autor:innen, Journalist:innen, Filmemacher:innen, aber auch Redakteuer:innen, Art Direktor:innen, Lektor:innen usw. Wir klären also direkt an der (Bild)Quelle auf und zeigen Medienschaffenden wie sie zeitgemäße Bilder kreieren können. Dabei appellieren wir v.a. auch an das Verantwortungsgefühl. Bilder haben eine enorme Macht und dieser muss sich jede:r Bildschöpfer:in bewusst sein.
Wie bereits erwähnt, stellen wir gerade einen Leitfaden zusammen, als präzise aber auch unterhaltsame Anleitung und Inspirationsquelle für die Erstellung von fachlich korrekten, vielfältigen und diskriminierungsfreien Geburtsdarstellungen. Wer uns dabei unterstützen möchte, kann dies zum Beispiel über unser Crowdfunding machen.
Zukünftig wollen wir projektbegleitend und beratend agieren, eine eigene Bilddatenbank mit Künstlernetzwerk aufbauen und in Workshops und Vorträgen, z.B. an Designhochschulen oder bei Verlagen, direkte Aufklärungsarbeit leisten.
Ich habe lange überlegt, ob ich euch ein GIF aus meiner Lieblingsserie FRIENDS hier einbinde - das so eine typische überdramatisch-lustige Geburtsszene zeigt. Und dann gedacht: Auch wenn es auf den ersten Blick lustig ist, setzt sich doch so unser Bild von Geburt in den Köpfen immer weiter fest. Also hab ich es gelassen und wünsche mir sehr, dass ihr für euch zuversichtliche, ermutigende Bilder von Geburt in euren Köpfen entstehen lassen könnt und an eure Kinder weitergebt. Nochmal alle wichtigen Links zu diesem Blogbeitrag und der Initiative The Image of Birth:
Webseite
Crowdfunding für den neuen Leitfaden
Interview in Jana Friedrichs Podcast (Folge #6)
Janas Konzept Birth-esteem
Jetzt bin ich gespannt auf eure Gedanken dazu: Woher kommt euer Bild von Geburt? Was hat es ganz besonders geprägt? Habt ihr Empfehlungen für empowernde Darstellungen von Geburt?