Wenn ich mit meinen Interviewpartnerinnen spreche, interessiert mich oft, wie sie zu ihrem Thema gekommen sind (so startet auch gleich das Gespräch mit Hanna). Beim Thema Feminismus hab ich mich zumindest anfangs immer etwas gesträubt – irgendwie hatte ich ein total seltsames, klischeehaftes Bild von Feminstinnen und wollte doch gar nicht „gegen Männer in den Kampf ziehen“.
Ich bin sehr froh, dass ich dieses Bild mittlerweile abschütteln konnte und Hanna hatte einen großen Anteil daran – auch als Role Model dafür den eigenen Weg zu gehen und zu zeigen, wie es noch gehen kann.
Ich freue mich also sehr, heute mit euch den ersten Teil unserers Gesprächs zu teilen – in dem ihr mehr über Hanna erfahrt und darüber, wie wir unser schlechtes Gewissen hinter uns lassen und uns als Mütter zusammenschließen können:
Hallo Hanna. Vielleicht möchtest du mir zu Beginn direkt erzählen, wie du zu deinem Thema gekommen bist?
Ursprünglich habe ich angewandte Kulturwissenschaften studiert und bin dadurch mit vielen der Themen in Kontakt gekommen: Die Kulturgeschichte und die Verteilung von Machtverhältnissen in der Gesellschaft oder Genderstudies: das war erstmal ganz abstrakte Themen im Studium und ohne Kontext. Aber diese patriarchalen Mechanismen gelten überall. Ich habe eine Weiterbildung als systemische Coach gemacht und dann sind die Themen so zu mir gekommen. Dadurch, dass mein Mann und ich uns von Anfang an viel mit dem Thema gleichberechtigte Elternschaft beschäftigt haben, hat sich das so entwickelt, dass ich das Interesse gemerkt habe und auch gemerkt habe, wie viele Frauen damit Probleme haben. Das erste Thema, bei dem ich großen Bedarf gesehen habe, ist die Erwerbsarbeit nach der Elternzeit. Bei mir war es im Jugendalter auch keine bewusste Entscheidung und ich hatte wenig Auseinandersetzung damit, was meine Stärken und Schwächen sind und so ist es bei vielen anderen auch. Und dann habe ich gemerkt, dass viele Probleme von Frauen durch den Care Gap kommen. Dann habe ich beschlossen, diesem Bedarf nachzugehen und mich selbstständig gemacht. Das ist jetzt 3 Jahre her.
Würdest du also sagen, du bist sehr bewusst in die Elternschaft reingegangen?
Ja, über die Einflüsse von Rollenbildern waren wir uns sehr bewusst. Eine meiner Coaching-Ausbilderinnen hat auch viel zur Patriarchatsgeschichte geforscht und zu den kollektiven Herausforderungen im Zusammenleben der Geschlechter. Das sind Muster, die es durch unsere Gesellschaft gibt. Das hängt nicht mit individuellen Problemen zusammen. Dadurch habe ich mich dann auch viel damit beschäftigt, was es bedeutet Frau und Mutter zu sein in dieser Welt und habe nochmal sehr viel gelernt. Das Bewusstsein war immer auf der Arbeitsebene: Care-Arbeit war bei uns immer Arbeit und wir haben von Anfang an Strukturen aufgebaut, diese Arbeit gerecht aufzuteilen. Es war auch eine bewusste Entscheidung, dass mein Mann auch in Elternzeit geht und wir danach gleich viel Erwerbsarbeit haben und die Kinder zu gleichen Teilen betreuen.
Care-Arbeit war bei uns immer Arbeit und wir haben von Anfang an Strukturen aufgebaut, diese Arbeit gerecht aufzuteilen.
Hanna Drechsler
Du hast ja auch eine Podcastfolge zum Thema schlechtes Gewissen. Wie hast du das selbst erfahren und was für eine Rolle spielt das für dich im Elternalltag?
Diese Themen fielen mir dann natürlich auch besonders auf, als ich Mutter war. Da spielt auch mein Muttervorbild auch große Rolle, denn ich bin mit einer erwerbstätigen Mutter aufgewachsen, die uns auch an andere wertvolle Bezugspersonen abgegeben hat. Ich habe als Kind mal gesagt „Ich habe drei Mütter“ und das hat meine Mutter als Wertschätzung wahrgenommen. Das würde ich heute genauso tun. Dass Freund*innen oder Nachbar*innen von mir auch wichtige Menschen für meine Kinder sind, das empfinde ich als sehr wichtig für mich und meine Kinder. Die Vorstellung, dass mein Kind immer nur mich braucht, ist ja total schlimm für mich. Deswegen hat es mir nie ein schlechtes Gewissen gemacht und ich habe die Erfahrung gemacht, auch viele enge Bindungen zu anderen Personen zu haben. Das erlebe ich als bereichernd. Es war bei uns immer klar, dass bewusste Entscheidungen auch ein schlechtes Gewissen verhindern: Ich gehe meinen Weg und ich erlaube mir, das zu tun, was mir guttut.
Das Mutterbild hat natürlich trotzdem einen Einfluss auf mich und es gab Situationen, in denen z.B. nicht ich, sondern mein Mann zur Kita-Feier ging. Da gab es zwar keine Kommentare von den anderen Eltern, aber ich hatte die Kommentare eher in meinem Kopf. Ich habe mich gefragt, ob es okay ist, dass ich nicht da bin sondern arbeite. Dieses Abwägen zwischen verschiedenen Sachen konfrontiert einen immer wieder mit der Entscheidung: Was ist dir wichtig? Und natürlich frage ich mich auch, was meinem Kind wichtig ist. Aber trotzdem muss man sich auch erlauben und es sich und den anderen zutrauen, diese Entscheidungen auch zu treffen, selbst wenn die manchmal falsch ist. Ich darf auch mal was bereuen. Und da gibt es eine Bandbreite von Gefühlen, ich glaube es ist schwierig, wenn man die Grundannahme hat, nie ein schlechtes Gewissen haben zu dürfen. Und wenn ich sage, ich bin nur richtig, wenn es mir und meinem Kind gut geht und alles immer super läuft, das ist ja total verdreht! Da steckt ja auch eine Schuldfrage drin, aber das ist ja eine Konstruktion! Was ist überhaupt Schuld und was macht die Scham von außen? Die Wissensebene, die ich aus meinem Studium bekommen habe, hat mir auf jeden Fall immer geholfen, das einzuordnen. Ich finde es hat auch viel damit zu tun, Frauen zurück zu ihrer Macht zu führen und ihnen zu sagen, dass sie auch etwas steuern können. Wo ist es sinnvoll, ein schlechtes Gewissen zu haben und wo sind es eher die Einflüsse von außen?
Es war bei uns immer klar, dass bewusste Entscheidungen auch ein schlechtes Gewissen verhindern: Ich gehe meinen Weg und ich erlaube mir, das zu tun, was mir guttut.
Hanna Drechsler
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Du bietest u.a. Gruppencoachings für Mütter an und sprichst dabei von "Sisterhood", also dem Zusammenschluss von Frauen und Müttern - welche Rolle spielt das für dich?
Eine ganze große. Das Empfinden, dass man mit bestimmten Themen allein ist, ist total schwierig. Ganz viele Dinge können sich über das Teilen von Erfahrungen lösen. Patriarchale Strukturen haben dafür gesorgt, dass Frauen durch die Heirat in das Haus des Mannes mussten, sodass sie aus ihrem Bereich herausgerissen wurden und ihrer Macht beraubt wurden. Und gleichgeschlechtliche Bindungen, die einen unterstützen, sind sehr wichtig. An sich kann eine Elternzeit eine sehr einsame Angelegenheit sein und Frauen versuchen, durch Babykurse oder anderes Kontakte zu knüpfen. Aber auch da spielt die Konkurrenz immer wieder rein, dass man denkt, man muss es besser machen als andere. Das hat sich auch aus dieser Einsamkeit entwickelt. Und es ist meiner Erfahrung nach sehr heilsam, seine Erfahrungen und Gefühle mit anderen zu teilen und alle dürfen so sein, wie sie sind. Da müssen wir aus der Bewertung rauskommen: anderen aber auch sich selbst gegenüber. Und einfach zu merken, wie vielfältig all diese Erfahrungen sind, das ist sehr hilfreich, verbindend und wertvoll für alle. Es geht oft gar nicht um einen konkreten praktischen Tipp, sondern um das Gefühl, gesehen und gehört zu werden, gerade in dieser emotionalen Zeit. Der Austausch und die Verbindung unter Frauen ist sehr wichtig. Der Austausch zwischen den Geschlechtern ist auch dann erst möglich, wenn die Geschlechter ihre Anliegen für sich geklärt haben. Die Selbstklärung findet über diese Gruppensituation statt. Man kann sich besser einordnen und sehen, welche Dinge man wie macht. Und das ist eine kollektive Aufarbeitung dieser Themen, das kann sehr verbindend sein.
Das finde ich sehr spannend. Bei Vätern beobachte ich untereinander eher wenig Austausch, geht es dir auch so?
Ja, total. Es ist zwar auch viel in den letzten 100 Jahren passiert, aber trotzdem gibt es häufig die gleichen Probleme. Wer mit einer 80er-Jahre-Hausmutter groß geworden ist, stellt sich wahrscheinlich andere Fragen. Man hat einfach auch eine individuelle Prägung. Bei den Vätern fängt es glaub ich jetzt in unserer Generation an. Und es ist ja auch logisch, dass die Frauen sich einfach schon länger mit dem Thema beschäftigen, weil sie eher in der Rolle des Opfers sind.
Die Rolle der Väter - ein gutes Stichwort und gleichzeitig mein Cliffhanger für Teil II unseres Gesprächs, den ihr hier findet:
"Wie können wir Väter mit ins Boot holen, Hanna Drechsler?"
Wir haben darüber gesprochen, wie Väter erste Schritte in Richtung feministischer Elternschaft gehen können, warum der Team-Gedanke für die Elternschaft so wichtig ist und wie sich Hanna und ihr Partner auf ihr drittes Kind vorbereiten.
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Aktuell kannst du dich hier für die Warteliste zum Feminist Motherhood Circle anmelden, der im Oktober 2023 startet. 10 Monate Begleitung und intensive Auseinandersetzung mit deiner Mutterschaft - und ich bin ebenfalls mit am Start mit einem Gastbeitrag!
Hannas Podcast "Eltern in Balance" ist sehr empfehlenswert genauso wie ihr Instagram-Profil.
Alle Infos und Angebote findest du natürlich auch auf ihrer Webseite.