Wie unterstützt du werdende Eltern, Dr. Sarah Märthesheimer?

Dr. Sarah Märthesheimer ist mir das erste Mal begegnet, als ich mich intensiv mit dem Thema Geburtsangst auseinandergesetzt habe. Bei meinen Recherchen entdeckte ich ihren Artikel in der Deutschen Hebammenzeitschrift, den sie 2020 gemeinsam mit ihrer Doktormutter Dr. Nora Schaal veröffentlicht hatte. 

Beide forschten damals an der Heinrich-Heine Universät Düsseldorf, wo ich selbst Psychologie studiert habe. Als ich Sarah dann Anfang diesen Jahres in Berlin bei einer Konferenz persönlich kennengelernt habe, erzählte sie mir von ihrer spannenden neuen Stelle am Universitätsklinikum Düsseldorf: 

Dort arbeitet sie seit Januar 2025 als Psychologin und Hebamme (was für eine spannende Kombi!) und begleitet Frauen vor und nach der Geburt. Eine Stelle die nur durch die Initiative vieler engagierter Menschen geschaffen werden konnte und sich bereits innerhalb dieser kurzen Zeit sehr gut etabliert hat.

Mit diesem Interview möchten wir euch zeigen, was sie dort genau macht, wie sie die Frauen und Familien unterstützt und welche Tipps sie für andere Hebammen hat, die dieses Modell an ihre Klinik bringen möchten.

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Liebe Sarah, wie kam es zu dieser besonderen Stelle?

Nach meiner Hebammenausbildung an der Charité Berlin habe ich Psychologie in Düsseldorf studiert. In meiner Doktorarbeit beschäftigte ich mich damit, wie Geburtserfahrungen im Laufe der Zeit verarbeitet werden und ob man als Hebamme oder Geburtshelfer überhaupt korrekt einschätzen kann, was belastend ist. Meine jetzige Stelle wurde vor allem durch die leitende Hebamme aus der Geburtshilfe und die Chefärztinnen aus der Frauenklinik und der Klinik der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie (LVR) angetrieben. Die Frage war nie, ob es das braucht, sondern immer nur: Wie bezahlt man das? Das Konzept habe ich dann in Rücksprache mit den erfahrenen Kolleg:innen hier entwickelt. Das Konzept entwickelt sich natürlich weiter, wir haben bereits vieles angepasst und es wächst natürlich auch mit der Nachfrage.

Für wen ist das Angebot und wie kommen die Frauen zu dir?

Ich betreue sowohl ambulante als auch stationäre Frauen. Voraussetzung ist, dass die Frauen bei uns entbinden werden oder bereits entbunden haben – ohne diese Einschränkung hätten wir Sorge, der großen Nachfrage gar nicht gerecht werden zu können.
Es gibt mehrere Wege zu mir:

  • Durch eigene Initiative und Recherche, z.B. über die UKD-Webseite.
  • Durch ein Screening im Anamnesegespräch: Wir erheben das Distress-Thermometer und fragen nach psychosozialen Belastungen. Manchmal spielt auch der Eindruck der Hebamme oder Ärztin eine Rolle, die dann meine Angebot empfehlen.
  • Bei stationären Frauen gehe ich aktiv auf bestimmte Fälle zu, zum Beispiel nach stillen Geburten oder Schwangerschaftsabbrüchen. In solchen Belastungssituationen fällt es Frauen oft sehr schwer, sich selbst Hilfe zu holen
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Foto & Zitat Sarah Märthesheimer
Dr. Sarah Märthesheimer zur Frage, was sie anderen Kliniken rät, die das Modell nachmachen wollen.

Was genau erhebt ihr beim Screening?

Das Distress-Thermometer – wie sich die Frauen mental belastet fühlen auf einer Skala von 0-10. Ganz niedrigschwellig. Mit dem PHQ-4 erfragen wir Symptome besonderer Ängstlichkeit oder Depressivität. Und dann fragen wir (1) ob die Frauen Unterstützung wünschen und (2) ob es anamnestisch psychische Erkrankungen gibt.

Mein Ziel ist es, den Übergang zur Mutterschaft einfacher und leichter zu machen. Das wird oft noch mit der rosaroten Brille gesehen – viele freuen sich auf ein Wunschkind und fallen dann umso tiefer, wenn es nicht so läuft. Es ist immer noch schambesetzt, darüber zu sprechen.

Mit welchen Zielen gehst du in die Gespräche?

Mein Ziel ist es, den Übergang zur Mutterschaft einfacher und leichter zu machen. Das wird oft noch mit der rosaroten Brille gesehen – viele freuen sich auf ein Wunschkind und fallen dann umso tiefer, wenn es nicht so läuft. Es ist immer noch schambesetzt, darüber zu sprechen.
Mein Ziel ist es auch, Normalität reinzubringen: Eltern werden ist ein „critical life event“ und nicht nur rosa, und das darf alles sein. Fragen anzuregen wie „Was hat das mit mir zu tun? Was kann ich dafür tun, dass es besser läuft?“ Vorhandene Fähigkeiten bewusst zu machen, aber auch klar zu machen, dass der Übergangsprozess hart und krass sein kann. Von außen zu vermitteln: Wir als Menschen in dieser Klinik sehen dich, wir erkennen das an, dass es eine Herausforderung ist.

Was besprichst du konkret in den Gesprächen?

Ich nehme mir meistens eine Stunde Zeit. Ich frage nach dem Beratungsanliegen und verschaffe mir einen Überblick über das Leben der Frau: familiäre und Wohnsituation, berufliche Identität, körperliche Veränderungen. Wohin gehen die Sorgen? Ökonomisch, auf die Partnerschaft bezogen, zum Kind – das ist so bunt! Häufig ist es eine Mischung aus vielem und das ist wie so ein Knoten, den ich versuche zu entwirren.
Manchmal liegt aber auch so oben auf, was gerade dran ist – dann geht es erstmal darum, zu halten was gerade da ist. Oder es gibt den konkreten Wunsch, eine schwierige Entscheidung gemeinsam zu besprechen. Ich biete immer an, dass sie sich melden können und kläre darüber auf, dass es weitere kostenfreie Angebote wie die Schwangerschaftsberatungsstellen gibt.

Wohin gehen die Sorgen? Ökonomisch, auf die Partnerschaft bezogen, zum Kind – das ist so bunt! Häufig ist es eine Mischung aus vielem und das ist wie so ein Knoten, den ich versuche zu entwirren.

Foto von Craig Adderley | www.pexels.com

Hast du besondere Angebote für Frauen mit belastenden Vorerfahrungen?

Wenn Frauen sehr ängstlich sind, gibt es manchmal ein konkretes Thema wie die Vor- und Nachteile eines Wunschkaiserschnitts. Das versuche ich mit ihnen auseinanderzudröseln. Manchmal ist es psychoedukativ, manchmal medizinische Aufklärung – da habe ich Glück mit meiner Vorausbildung als Hebamme und Psychologin.
Manchmal sind es ganz banale Informationen: Dass man sich auch während der Geburt noch für eine PDA entscheiden kann zum Beispiel. Ich versuche zu vermitteln, was die realen Bedingungen hier im Kreißsaal sind – dass man einen Dienstwechsel hat zum Beispiel und dass das Vor- und Nachteile haben kann.
Dann gehe ich häufig mit den Frauen durch den Kreißsaal, nehme mir Zeit – das kann total angstmildernd sein, einfach mal die Räume und einzelne Kolleginnen gesehen zu haben. Es geht um dieses Gefühl „Ah, ok, ich kenn das schon.“ Die erste Hemmschwelle ist schonmal übertreten.

Und was ist mit berechtigten Sorgen?

Da muss man das Augenmaß behalten. Geburt ist eine körperliche und psychische Ausnahmesituation, die sehr unterschiedlich laufen kann. Weder beschönigen noch dramatisieren. Wenn konkrete Ängste da sind, versuche ich herauszufinden: Was bringt mir Sicherheit? Was kann ich mitbringen? Was braucht die individuelle Frau? Manchmal sind es ganz konkrete Dinge wie Musik oder ein eigenes Kissen.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Hebammen?

Ich dokumentiere die Gespräche und wenn besondere Wünsche oder Rückfragen da sind, kläre ich das und melde mich bei der Patientin zurück. Ich versuche Kommunikation herzustellen und ermutige die Frauen, sich bei weiteren fachlichen Fragen nochmal einen Termin geben zu lassen. Was aber natürlich in Zeiten von Hebammenmangel leider schwierig ist, wenn die Frau beispielsweise keine Hebamme mehr gefunden hat, die sie auch zu Hause weiter betreut.

Dann gehe ich häufig mit den Frauen durch den Kreißsaal, nehme mir Zeit – das kann total angstmildernd sein, einfach mal die Räume und einzelne Kolleginnen gesehen zu haben. Es geht um dieses Gefühl "Ah, ok, ich kenn das schon." Die erste Hemmschwelle ist schonmal übertreten.

Bist du mittlerweile gut vernetzt mit weiterführenden Angeboten in der Region?

Ja. Es gibt mittlerweile relativ viele psychotherapeutische Angebote – ambulant und stationär, Gruppentherapie, niedergelassene Psychotherapeut:innen, aber auch Trauergruppen, Angebote für junge Mütter, für Mütter mit Migrationshintergrund, Gewalt- und Suchtthematiken. Ich versuche die Angebote in unserer Umgebung kennenzulernen und entsprechend weiterzuvermitteln.
Da habe ich auch die Aufgabe einer Lotsin, die an passende Stellen weitervermittelt. Grundsätzlich ist meine Haltung, dass Ängste abgebaut werden sollten um mit einem Gefühl der Sicherheit in dieser Lebensphase begleitet zu werden, dass es hilfreich ist, über die eigenen Belange zu reden und sich gegebenenfalls Hilfe zu holen. Grade als junge Mutter ist da ein großer Wunsch, eine gute Mutter zu sein. Sich überfordert zu fühlen oder Hilfe und Unterstützung zu holen, ist häufig noch scham- oder sogar schuldbesetzt. Da ist noch ein Stigma, die Befürchtung eine „schlechte Mutter“ zu sein, über die man erstmal drüber kommen muss.

Was läuft schon gut und was ist noch herausfordernd?

Für mich ist es noch herausfordernd, die Patientinnen, die von einem Gespräch profitieren, auch zu erreichen und möglichst vielen gerecht zu werden und zeitnah ein Gesprächsangebot zu machen.
Aber ehrlich gesagt läuft auch ganz schön viel richtig gut. Die Frauenklinik ist sehr dankbar, dass es das gibt, sehr offen, den Frauen das weiterzuvermitteln. Dass mich alle so im Team integrieren, ist nicht selbstverständlich. Es ist ganz viel kooperative Tätigkeit – mit der Kinderintensivstation, den Psycholog:innen, Ärzt:innen, der Klinik für psychosomatische Medizin. Das finde ich immer noch herausfordernd, mich mit all den Protagonisten, die um mich herum sind plus die die Außenrum sind, zu vernetzen. Ich bin sehr froh, dass das Angebot vor allem von den Frauen und Paaren so gut angenommen und in Anspruch genommen wird.

Foto von SHVETS production | www.pexels.com

Was können Geburtsnachgespräche bewirken?

Das kann so hilfreich sein für die Frauen, nochmal darüber zu sprechen: Wie hab ich das wahrgenommen? Wie hast du das wahrgenommen? Ich hatte hier schon Gespräche, wo die Hebamme dabei war und wir gemeinsam den Geburtsbericht durchgegangen sind. Dann sammelt man die Erinnerungen zusammen und guckt von beiden Seiten, oft ist auch der Partner dabei.
Da kommt so viel Wertschätzung über diese Geburtssituation, da fließen oft Tränen, da wird einem das ganze Ausmaß nochmal klar. Es kann so heilsam sein, das nochmal von außen zu sehen. Das ist auch als Hebamme eine schöne Erfahrung und gibt einem die Chance, selber dazu zu lernen.
Manchmal ist es auch unangenehm, so wie das immer ist, wenn man Feedback bekommt, was nicht nur gut ist. Aber das kann gerade eine Goldgrube sein und manchmal geht es auch darum auszuhalten, dass Fehler passiert sind. Zu merken: Die Klinik ist bereit, aus meiner Erfahrung zu lernen. Bei mir ging es bisher nie darum rechtliche Schritte einzuleiten, sondern eher Dinge mal benennen zu können und etwas zu beklagen.

Was würdest du anderen Kliniken raten, die das Modell nachmachen wollen?

Die sollen es machen! Das wäre super! Ich weiß, es ist ein Ressourcenproblem, aber es wäre toll, wenn das alle Kliniken anbieten könnten.
Ich glaube, es geht um den ersten Schritt, ums Anfangen. Nicht direkt das ganze Konzept zu denken. Klein anfangen und dann Schritt für Schritt schauen. Wie kann man vielleicht mit einem Geburtsnachgespräch anfangen? Viele Kliniken machen das bereits. Das kostet aber natürlich Zeit und Arbeit, und deshalb ist es wichtig, dass das Raum bekommt.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Es wäre erstmal super, wenn es stabil wäre. Die Startfinanzierung hat dank der Uniklinik erstmal geklappt, aber wir schauen von Jahr zu Jahr. Von meinen Gesprächen wird nichts von den Krankenkassen bezahlt. Ich würde mir wünschen, dass es vom Gemeinsamen Bundesausschuss etabliert wird – das wäre das große Oberziel. Da braucht es noch große Studien, die nachweisen, dass so ein niedrigschwelliges Angebot tatsächlich präventiv hilft. Mir liegen auch die Frauen nach stillen Geburten sehr am Herzen, auch nach Fehlgeburten – medizinisch ist das meist keine große Sache, biographisch ist das aber eine sehr große Sache. Und das würde ich mir wünschen, dass da die Versorgung besser wird, dass sich da mehr Kliniken auf den Weg machen.

Vielen Dank Sarah für dieses spannende Gespräch und den Einblick in deine Arbeit!

Mehr zu Dr. Sarah Märthesheimer und ihrem Angebot findet ihr hier:

Zum Angebot auf der UKD-Website
Pressemitteilung des UKD zur neuen Stelle
Sarahs Dissertation: "Die subjektive Geburtserfahrung aus psychologischer Sicht: Erinnerung, Einflussgrößen und die professionelle Perspektive"

Viele Menschen haben dieses Projekt unterstützt und engagieren sich sehr dafür, dass es diese Stelle gibt. Dazu gehören::
Sandra Persaud, leitende Hebamme am UKD
Univ.-Prof. Dr. Tanja Fehm, Chefärztin der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtsmedizin am UKD
Univ.-Prof. Dr. Dipl. Psych. Ulrike Dinger-Ehrenthal, Direktorin des Klinischen Instituts für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Chefärztin der LVR-Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

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