Wie können wir Eltern werden und Paar bleiben, Romy Winter?

Ich weiß leider nicht mehr genau, mit welchem Post Romy Winter damals in meinen Instagram Feed gespült wurde. Ich merkte aber schnell, dass sie einfach wahnsinnig reflektierte, inspirierende und warmherzige Texte schreibt und für diffuse Gefühle und Gedanken genau die passenden Worte findet.

Texte, in denen ich mich und viele andere Elternpaare wiedererkenne. Und genauso ging es mir auch mit ihrem neuen Buch „Das Herz der Familie“ (Absolute unabhängige Herzensempfehlung, ich bekommen keine Provision oder so 🙂 ), immer wieder dachte ich beim Lesen „Oh ja, das kenn ich!“ oder „Krass, genauso hätte das bei uns laufen können!“ Es ist ein spannender Mix aus Beispielen, Übungen und Hintergrundwissen geworden.

Romy spricht darin von Attachment Partnering – eine Anlehnung an das Konzept der bindungs- und bedürfnisorientierten Erziehung. So einfach, wie genial – denn natürlich macht es total Sinn, auch in einer Partnerschaft die eigenen Bedürfnisse gut zu kommunizieren, es hilft den anderen besser zu verstehen und gemeinsam gute Strategien für die Erfüllung zu finden.

Heute teile ich mit euch Romys Antworten auf meine Fragen rund um ihr Buch – ich bin gespannt, ob es für euch auch einige Aha-Momente bereithält! 🙂

Liebe Romy, du teilst mit uns auf Instagram deine Gedanken und Erfahrungen zum Thema Elternschaft und hast vor Kurzem dein Buch "Das Herz der Familie" veröffentlicht, in dem es um die Elternpaarbeziehung geht. Du sprichst davon, dass es vielen Eltern (insbesondere wenn sie sich für Attachment Parenting entschieden haben) schwer fällt, gleichzeitig auch auf die eigenen Bedürfnisse bzw. die Bedürfnisse als Paar zu achten. Wie erklärst du dir das?

Vorab möchte ich ganz klar sagen, dass ich Attachment Parenting absolut befürworte. Elternschaft ist herausfordernd — und das war auch schon so, bevor wir uns auf den Weg gemacht haben, Kinder bedürfnisorientiert und nicht „normiert“ zu begleiten. Allerdings kostet das „ständige“ Scannen und Erfüllen von Bedürfnissen natürlich viel Kraft und Energie. Auch richtige Entscheidungen können Begleiterscheinungen haben. Und eine dieser Begleiterscheinungen ist meiner Erfahrung nach, dass Eltern stark gefordert sind, wenn sie der Summe der Bedürfnisse gerecht werden wollen. Hinzu kommt die allseits gegenwärtige Angst, dem eigenen Kind zu schaden oder ein schlechtes Elternteil zu sein, wobei ich fairerweise sagen muss, dass die Angst unter Müttern wesentlich verbreiteter ist — es ist uns AP Eltern also extrem wichtig, für unsere Kinder präsent zu sein, um deren Entwicklung zu fördern. Doch niemand hat unendlich viel Fokus, Energie, Zeit und Liebe. Wenn wir Eltern werden, dann ist dieser Prozess auch stark von Umverteilung geprägt. Umverteilung von Prioritäten, Zuständigkeiten, Aufmerksamkeit und Zumutung. Dieser Anpassungsprozess ist notwendig, richtig und wichtig. Es ist auch absolut normal, dass wir in dieser Zeit mit kleinen Kindern zunächst zurückstecken und den Bedürfnissen der bedürftigsten/unselbstständigsten Familienmitglieder Priorität geben. Doch auf lange Sicht entsteht so ein Ungleichgewicht, unter dem alle — auch die Kinder — leiden. Die Gesamtlast als Paar ist oft sehr groß, viele (Paar)- und Indivdidualbedürfnisse werden (oft unbewusst) aufgeschoben, Unzufriedenheit und Erschöpfung machen sich breit — und wer dann das Gesamtbild nicht im Blick hat, hält diese Entwicklung schnell für ein Beziehungsdefizit.

Auch richtige Entscheidungen können Begleiterscheinungen haben. Und eine dieser Begleiterscheinungen ist meiner Erfahrung nach, dass Eltern stark gefordert sind, wenn sie der Summe der Bedürfnisse gerecht werden wollen.

Du hast das Prinzip AP auf die Paarbeziehung übertragen und beschreibst das auch in deinem neuen Buch „Das Herz der Familie“ ausführlich. Bevor wir da tiefer einsteigen, weshalb ist dir das Thema Paarbeziehung so wichtig? Warum ist die Paarbeziehung so wichtig für die ganze Familie?

Viele Menschen vermuten einen persönlichen, biografischen Bezug. Und tatsächlich bin ich Scheidungskind. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass dies für meine Eltern genau die richtige Entscheidung war — und für mich. Es geht mir also gar nicht darum zu behaupten, dass Elternpaare auf jeden Fall auch Liebespaare sein müssen. Trennung ist auch für mich durchaus eine Option. Aber ich glaube, viele Paare geben zu früh auf und vergessen, dass sie sich selbst (und ihre Probleme) am Ende überall mit hinnehmen — und dass es nicht unbedingt einfacher wird, nach einer Trennung. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie viel Investment es braucht, um verheiratet zu bleiben. Aber ich liebe meinen Mann und unsere gemeinsame Reise. Wir sind die Basis unserer kleinen Familie und diese Basis verdient unsere Aufmerksamkeit. Sie ist das erste und älteste Kind unserer Familie.
Die Elternebene ist die Ebene, auf der die Familie gemanaget und genährt wird. Wir sind so viel: Kommandozentrale, Liebesakku, Kreativteam, Feuerwehr, Strategen, Pflegekräfte, Problemlöser, Seelenschmeichler, Animateure, Vorbilder. Wir erschaffen die Atmosphäre, in der unsere Kinder groß werden. Gemeinsam, ob wir wollen oder nicht. Mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten. Wir sind nicht nur das Herz der Familie, sondern auch das Fundament. Unsere Kinder brauchen eine liebevolle Führung, doch wenn der Kopf der Bande ständig „Headache“ hat, stimmt der Kurs oft nicht — was oft dazu führt, dass Kinder Aufgaben und Rollen übernehmen, denen sie nicht gewachsen sind.

Romy Winter mit ihrem Mann und ihren drei Kindern
Foto: Romy Winter

Du beschreibst im Buch fünf Grundbedürfnisse und wie wir die in unserer Partnerschaft konkret erfüllen können. Meiner Erfahrung nach fällt es vielen schwer, überhaupt erstmal die eigenen Bedürfnisse oder die des Partners/der Partnerin wahrzunehmen. Was kannst du das empfehlen?

Das ist sicherlich wahr. Einige von uns haben schon in ihrer Kindheit verlernt, auf ihre Gefühle und Bedürfnisse zu hören, um „erwünscht“ zu sein. Andere haben in ihrer Kindheit nie lernen müssen, die eigenen Bedürfnisse aufzuschieben und wieder andere gehen mit der Vorstellung in eine Beziehung, der andere müssen die eigenen Wünsche von den Augen ablesen. All das führt spätestens in der Elternschaft zu Problemen bei der Bedürfniserfüllung. Der Weg zu unseren Bedürfnissen führt über unsere Gefühle. Zunächst dürfen wir also wieder lernen, diese wahrzunehmen und zu kommunizieren. Dann brauche ich natürlich ein Grundwissen über die menschlichen Grundbedürfnisse — es wird leichter, sobald wir Dinge benennen können. Ich bin sauer, weil mein Partner abends lieber zum Sport oder ins Bett geht? Ok, dann ist vermutlich gerade ist mein Nähebedürfnis frustriert. Ich bin nur noch Mutter und habe das Gefühl, einen Teil von mir verloren zu haben? Alles klar, mein Selbstgefühl leidet unter der eingeschränkten Lebenswelt. Wenn du mich also fragst, was ich empfehlen kann, dann sage ich mit einem Augenzwinkern: Mein Buch 🙂 Denn darin ist nicht nur der Weg zu den eigenen Bedürfnisse und denen des Partners ausführlicher beschrieben, sondern wir widmen uns kritisch der Frage, wer überhaupt verantwortlich ist für die eigenen Bedürfnisse und was wir von anderen erwarten können.

Der Weg zu unseren Bedürfnissen führt über unsere Gefühle. Zunächst dürfen wir also wieder lernen, diese wahrzunehmen und zu kommunizieren.

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Wie komme ich mit meinem Partner dann über unsere Bedürfnisse ins Gespräch? Erschöpfung, wenig Zeit - das ist ja typisch für den Alltag mit Babys und Kleinkindern. Wo sind da die Gelegenheiten? Oder wie würdest du das angehen?

Diese Gelegenheiten sind nicht einfach da. Wir müssen sie uns erschaffen. Wir würden ja auch nicht sagen: Zum Windelwechsel war leider keine Zeit, deshalb sitzt mein Kind jetzt schon seit 2 Tagen (buchstäblich) in der Scheiße. Den Termin beim Kinderarzt würden wir auch nie einfach so schwänzen und auch das Elterngespräch in der Kita wird ernst genommen. Es ist also zunächst eine Frage der Haltung und Priorisierung. Regelmäßige Elternmeetings finde ich sehr hilfreich. Einige Paare kommen auch zu mir in die Therapie, nur weil sie dadurch ein ungestörtes Zeitfenster und Fokus haben.

Du beschreibst im Buch viele Beispiele, bei denen man denkt „Huch, das bin ja ich/das sind ja wir“ - Wie kommt es, dass man sich da so drin wiederkennt? Sind es immer wieder die selben Stolperfallen, in die alle tappen?

Sicherlich ist jede Liebesgeschichte einzigartig — aber (menschliche) Systeme folgen bestimmten Regeln. Wir sind sicher keine einfachen Wenn-Dann-Wesen, das wäre zu kurz gegriffen aber viele Befindlichkeiten und Dynamiken teilen wir Menschen natürlich, eben weil wir alle die selben emotionalen Grundbedürfnisse haben. In der Medizin ist das ja ähnlich: bestimmte Situationen, Substanzen, Tätigkeiten, Prädispositionen, Verhaltensweisen, Bakterien oder Viren führen zu bestimmten Erkrankungen, da unser Organismus (auch ein System) in ähnlicher Weise reagiert. Oft helfen dann auch die selben Maßnahmen, Therapie oder Medikamente. Und trotzdem gibt es individuelle Unverträglichkeiten, Immunitäten oder Anfälligkeiten. Es gibt unterschiedliche Schutzfaktoren und Risikofaktoren — und das gilt nicht nur in der Medizin sondern auch in der Paar- und Familientherapie. 

Wann ist in deinen Augen der Zeitpunkt gekommen, sich professionelle Hilfe zu suchen? Und worauf legst du selbst bei deinen Beratungen besonders viel Wert?

Zu früh ist es nie, zu spät leider oft. Paartherapie ist ja eben nicht das Eingeständnis, dass wir alleine gescheitert sind, wie viele leider immer noch denken. Paartherapie ist eine Ressource, nicht mehr nicht weniger. Und viele Paare nehmen es heute eher wie eine Supervision wahr. Hin und wieder eine Draufsicht tut gut. Paarberatung ermöglicht genau das. Ich beobachte auch den Effekt, dass allein die Anwesenheit einer dritten Person die Kommunikation verändert und entschärft. In den gemeinsamen Sitzungen suchen wir gemeinsam nach Ressourcen, die den Paaren vielleicht gar nicht mehr bewusst waren. Wir erinnern uns an das Wofür und ich unterstütze die Paare dabei, die Perspektive zu verändern. Denn oft stecken wir so oft in unserer eigenen Not fest, fühlen uns so sehr im Recht, dass wir einen Tunnelblick haben. Oder wir streiten über Dinge, um die es eigentlich gar nicht geht. Dann brauchen wir jemanden, der die richtigen Fragen stellt. Zum Beispiel: Worum geht es hier wirklich?
Besonders viel Wert lege ich darauf, dass beide PartnerInnen sich aufgehoben fühlen. Allparteilichkeit und Neutralität sind mir persönlich sehr wichtig — wer einen Richter oder Anwalt sucht, der ist bei mir falsch. Mein Klient ist immer die Beziehung des Paares.

Paartherapie ist ja eben nicht das Eingeständnis, dass wir alleine gescheitert sind, wie viele leider immer noch denken. Paartherapie ist eine Ressource, nicht mehr nicht weniger.

Romy Winter bietet Einzel- und Paarberatung über ihre Webseite an. Über ihren Instagram-Kanal  bekommst du wirklich viel Stoff zum Nachdenken und Wiedererkennen und Sich-Verstanden-fühlen. Seit Anfang des Jahres bietet sie auch einen Kurs namens „Familienz“ an – für Eltern, die die Resilienz der ganzen Familie stärken wollen – mehr Infos dazu findet ihr hier.

Und jetzt interessiert mich sehr: Habt ihr schon eure Beziehung als Priorität auf dem Schirm? Wo gibt es noch Hindernisse? Tauscht ihr euch regelmäßig über eure Bedürfnisse aus? Lasst es mich in den Kommentaren wissen!

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