Welche Vorteile hat das Leben mit einem Einzelkind, Anna Hofer?

Als ich im April beim AFS Stillkongress einen Workshop zum Thema psychische Gesundheit halten durfte, bekam ich auch die Gelegenheit Anna Hofer persönlich kennenzulernen. Natürlich kannte ich sie von Instagram und ihrem ersten Buch über das Thema Generationenkonflikte im Elternalltag. Ich hab sie als absolut warmherzige und kompetente Fachfrau erlebt und bin daher sehr glücklich euch heute mein Gespräch mit ihr rund um ihr neues Buch “Mein fabelhaftes Einzelkind” vorzustellen – ein Buch also für alle Eltern, die mit einem Kind “one and done” sind oder für die, die noch mit ihrer Entscheidung hadern:

Spring direkt zur Frage:

Liebe Anna, steckt hinter deinem neuen Buchthema eine eigene Geschichte?

Das Thema treibt mich tatsächlich schon viele Jahre um und ich habe immer gedacht, es hätte keine Relevanz für die Eltern-Community. Bis man sich dann mal mit Menschen dazu austauscht, die sagen, ‚Doch, ja, bitte.“ Ich bin selbst Einzelkind und habe ein Einzelkind aus Überzeugung. Natürlich wird das dann auch mit Mitmenschen zu so einem ganz Smalltalk-Thema, nach dem Motto, „Wann ist es denn bei euch soweit?“ Und ich immer so, „Nö, nein, bei uns nicht.“ Und dann immer dieses Bewertende, „Oh, das ist aber schade.“ Ich saß da und dachte so: „Nein, warum? Warum ist das schade?“ 

Und dann immer dieses Bewertende, „Oh, das ist aber schade.“ Ich saß da und dachte so: „Nein, warum? Warum ist das schade?“ 

Und es gibt sehr wenig Literatur überhaupt zu Einzelkindern und die wenigen, die es gibt, sind sehr wissenschaftlich geprägt, also nicht für Eltern. Das Thema kommt unter den gängigen Ratgebern nicht vor. Und deswegen schreibe ich jetzt dieses Buch. Es fühlt sich für mich jetzt an, als hätte ich da so eine Community geweckt, die endlich mal laut wird. Was ich ja auch schon immer wieder zwischendurch geschrieben habe, Ein-Kind-Familien werden nicht eine Familie, sie sind eine Familie. Also die Diskriminierung oder auch dieses Framing, das Ein-Kind-Familien erfahren, ist gleichzusetzen mit Regenbogenfamilien, Patchwork-Familien.

Ihr für euch wart ziemlich klar in der Entscheidung, aber du hattest das Gefühl, nach außen müsst ihr es rechtfertigen?

Nein, ich habe das tatsächlich nie rechtfertigen müssen. Aber ich weiß darum, dass Familien tatsächlich diesen Struggle haben. Ich hatte den nie und bin ja dann auch irgendwann nicht mehr gefragt worden. Es ist ein enormer, gesellschaftlichen Druck, der auf Familien, ganz besonders auf Frauen lastet. Für uns hat es immer noch die größere Konsequenz, wie viele Kinder wir kriegen.Wir könnten uns gegenseitig das Post-it auf die Stirn kleben, ‚Wir können es eigentlich niemandem recht machen, also machen wir es doch so, wie es sich für uns gut und richtig anfühlt‘. Dieses Buch soll nicht da sein, um andere Menschen dazu zu überreden, ein Kind zu haben. Du hast die Kinderzahl verdient, die dich glücklich und dich vollständig fühlen lässt, aber das ist nicht die Norm.

Wenn man eher selbst noch unschlüssig ist, ob man noch ein zweites Kind möchte - Wie kommt man da zu einer Entscheidung?

Ich finde es ganz wichtig, soweit man das kann, die Stimmen von außen auszusperren: Die anderen Eltern im Kindergarten, Oma und Opa, Tante und Onkel, Geschwister, die gerade in der zweiten oder dritten Runde durch die Gegend kugeln.
Und sich dann auch wirklich ganz realistisch vorzustellen, wie das Leben mit einem zweiten Kind ist: ‚Möchte ich nochmal diese Verantwortung für ein kleines Wesen? Möchte ich nochmal diese Schlaflosigkeit? Wie wird unser Alltag mit zwei Kindern aussehen?‘ Das kann helfen, zu sagen, „Oh wow, nee, ist echt irgendwie gerade alles ganz schön“ und dann legt man das Thema für sich sozusagen nochmal ad acta.
Es gibt auch viele Paare, die sich untereinander nicht einig sind. Das ist auch eine Belastungsprobe für jede Beziehung, wenn man sich da uneinig ist. Da hilft es einfach wirklich nur beständig miteinander im Dialog zu bleiben, ohne Druck und ohne Verurteilung, sondern da einfach auch die Kommunikation nicht abreißen zu lassen.

Braucht mein Kind ein Geschwisterchen, um gesund und glücklich aufzuwachsen? Welche Sorgen und Vorurteile hast du über Einzelkinder im Kopf?

Was haben wir denn für Vorurteile vom Leben mit einem Einzelkind im Kopf? 

Ich glaube das Gefühl, etwas zu verpassen. Im Kern geht es um die Sorge, etwas zu verpassen und bei gewissen Dingen nicht mitreden zu können. Und das Gefühl, zu einer sozialen Gruppe nicht mehr dazuzugehören. Und natürlich auch die Sorge und die Verantwortung für das erstgeborene Kind, diesem Kind etwas essentiell Wichtiges vorzuenthalten, das es für ein gesundes Aufwachsen braucht. Oft kommt man als Eltern dahin, sein erstgeborenes Kind als defizitär zu betrachten, weil es ein Einzelkind ist.
Manche Dinge sind auch einfach in der Persönlichkeit angelegt und sie haben nichts mit unserem sozialen Status zu tun, also ob wir z. B. ein Einzelkind sind oder drei Geschwister haben. Aber Eltern, die in diesem Thema nicht so bewandert sind, haben dann womöglich das Gefühl, „Wenn es jetzt ein Geschwister gehabt hätte, dann hätte es ja noch besser lernen können, sich durchzusetzen und dann hätte es ja später einen Vorteil gehabt.“.

Im Kern geht es um die Sorge, etwas zu verpassen und bei gewissen Dingen nicht mitreden zu können. Und das Gefühl, zu einer sozialen Gruppe nicht mehr dazuzugehören.

Ich glaube, dieses Thema soziale Kompetenz schwingt immer mit. Also zum Beispiel ‚Einzelkinder sind nicht so durchsetzungsstark oder können nicht so gut teilen, sind nicht empathisch.‘ Was sagen denn da die Studien?

Die Studien sagen überraschenderweise genau das: Es gibt keinerlei Unterschiede im Sozialverhalten und im Aufwachsen und in der Persönlichkeit zwischen Einzelkindern und Geschwisterkindern. Es gibt seit rund 30 Jahren Geschwisterforschung und auch da weiß man darum, wie schwierig es ist, Geschwister miteinander zu vergleichen.
Und wie lernen wir? Wir sind soziale Wesen und wir lernen natürlich nicht nur von einem Geschwister. Erstgeborene sind immer auch eine Zeit Einzelkinder gewesen. Das heißt, das Learning hat bei denen immer mit Erwachsenen stattgefunden. Also Eltern, Großeltern, Tante, Onkel, je nachdem wie groß die Familie ist. ErzieherInnen und dann natürlich im Kindergarten, in einer gemischten Gruppe und da sind wir wieder beim Erlernen der sozialen Kompetenz. Da sind sie ja, die anderen Kinder. Wo man warten muss, wo man teilen muss, wo man sich wegen einem Spielzeug ein bisschen in die Wolle bekommt und wo dann geschlichtet und vermittelt wird. Also der soziale Rahmen, in dem Einzelkinder soziale Kompetenzen lernen können, ist der gleiche wie bei Geschwistern auch. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie dann, wenn sie zu Hause sind, das tatsächlich nicht mehr die ganze Zeit machen müssen.

Weißt du etwas darüber, ob sich die großen Geschwisterkinder schneller von der Mutter lösen können (und z. B. eine stärkere Bindung zum Vater aufbauen) bzw. in ihrer Selbstständigkeit stärker gefördert sind durch ein weiteres Kind?

Was ich sagen kann ist, zum einen, dass sich das große Kind stärker auf das andere Elternteil prägt nach der Geburt. Das Aufwachsen mit einem Geschwisterchen bringt manchmal auch den notgedrungenen Anspruch mit sich, zu sagen, „Hier, versuch mal bitte erst mal selbst, ich komme gleich, denn ich muss mich um dein Geschwister kümmern.“. Aber worauf ich hinaus möchte, ist, alle unsere Kinder werden selbstständig und sie brauchen dazu keine Geschwister als zusätzliches Erziehungstool. Alle Kinder wollen selbstständig werden, alle Kinder haben da ein individuelles Tempo und alle können sich irgendwann selbst die Schuhe anziehen. Ich habe auch meinem Einzelkind gesagt „Ich muss hier gerade noch was fertig machen, ich komme gleich zu dir, versuch noch mal.“ Das funktioniert genauso, dafür brauche ich keine Geschwister.

Würdest du sagen, es gibt auch Dinge, die man mit einem Kind ganz anders genießen kann oder wo es Vorteile gibt?

Ich habe keine Unterbrechung im Erleben oder im Alltag mit meinem Kind. Also es gibt keinen Moment in seiner Entwicklung, den ich nicht mitbekommen hätte. Was aber stattgefunden hat, ist diese Ablösung, die mein Kind sozusagen vorgegeben hat und das fühlt sich total schön an. Und was wirklich vorteilhaft ist, ist hinsichtlich des Mental Loads, je älter die werden, desto leichter wird der Alltag. Und das fühlt sich einfach sehr schön und sehr befreiend an, weil ich den hohen Luxus habe von Freizeit, von Selbstverwirklichung, von einfach faul sein, parallel dazu, dass mein Kind halt auch da ist und sein Ding macht. Und das empfinde ich persönlich als unglaublichen Schatz und unglaublichen Gewinn. 

Vielleicht magst du nochmal abschließend sagen, was erwartet uns in deinem Buch und wer sollte es auf jeden Fall lesen? 

Im Buch erwarten euch auf jeden Fall Einblicke von Einkindfamilien, damit du dich nicht alleine fühlst. Tatsächlich auch sehr viel von mir persönlich, wie ich die Sachen sehe und selbst empfunden habe. Natürlich auch so ein paar Hacks für den Alltag. Und auch die aktuelle Studienlage erklärt und ganz viel Bestärkung. Das Buch erscheint im Herbst und vorbestellbar ist es auf jeden Fall schon. Ich möchte wirklich gerne erreichen, dass wir sagen, ‚Leben und Leben lassen‘. Und wenn mein Buch ein bisschen dazu beitragen kann – Wie gesagt, jeder darf gerne so viele Kinder bekommen, wie er möchte, aber nicht aufgrund dieser Klischees, die wir über Einzelkinder immer wieder gebetsmühlenartig wiederholen – dann habe ich glaube ich mit dem Verlag zusammen einen guten Job gemacht. 

Du möchtest mehr über Anna Hofer und ihr neues Buch wissen?

Hier findest du ihr Buch “Mein fabelhaftes Einzelkind”
Annas Webseite
und natürlich ihr Instagram-Profil.

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