Warum stressen wir uns so mit dem Essen, Moana Werschler?

Kochen ist wirklich nicht meins. Ich hab kaum Ideen, es macht mir nicht sonderlich viel Spaß und es stresst mich, wenn ich weiß: Irgendwer meckert nachher sowieso. Meine zwei Leitsterne fürs Essen waren in der Baby- und Kleinkindzeit immer, dass ich möglichst viel gesundes Essen anbiete und gleichzeitig aufmerksam bin für die Signale meiner Kinder – und ihnen nichts aufzwinge. Daraus wurden eine sehr wählerische und eine sehr experimentierfreudige Tochter 😉

Essen ist in vielen Familien ein Stressfaktor und bietet gleichzeitig oft auch einen Rahmen für gemeinsame Zeit, in der ganz nebenbei viel für die Bindung und Beziehung “passiert”. Wie das gut gehen kann – darüber habe ich mit Moana Werschler alias Miss Broccoli gesprochen:

Liebe Moana, du hast urprünglich etwas anderes studiert und bist dann Ernährungsberaterin geworden. Wie kam das?

Ich glaube gesundes Essen war schon immer ein Thema: Ich bin sehr gesund aufgewachsen und wir haben immer mit viel Gemüse gekocht. Meine Mama wurde irgendwann vegan und wir haben auch mit immer weniger Fleisch gekocht. Als mein erster Sohn auf die Welt kam, habe ich mich ausführlicher mit der Ernährung auseinandergesetzt. Dann habe ich auch mit Gemüsebauern gearbeitet. Ursprünglich habe ich Kommunikation und Journalismus studiert und bin dann in der Gemüsebranche gelandet und habe viel kennengelernt. Da war ich auch viel auf Feldern und in Gewächshäusern. Als mein Sohn dann auf die Welt kam, haben ich und mein Partner uns dazu entschlossen, meinen Sohn vegetarisch zu ernähren und kurz darauf habe ich den Blog gestartet. Auf Social Media ist das dann total schnell gewachsen und ich wurde häufig um Ratschläge gefragt, sodass ich mich dann noch dazu entschieden habe, die Ausbildung zur Ernährungsberaterin zu machen, um mehr Expertise zu haben. Ich habe auch eine Weiterbildung zu Kinderernährung gemacht und biete seit nun zwei Jahren Coachings an.

Spannend! Womit kommen denn die Eltern meistens in deine Beratung?

Ich habe mich auf Picky Eater spezialisiert. Ich glaube, jede zweite Familie ist irgendwann damit konfrontiert, dass das Kind schlecht ist, bzw. jedes Kind hat auch schlechte Phasen. Nicht alle Eltern können damit gut umgehen und nicht alle Kinder sind gleich picky. Da gibt es wirkliche Extreme. Wenn da die Eltern unentspannt sind, kann es schnell zu einem Teufelskreis kommen. Da spielt natürlich auch die Unsicherheit der Eltern mit rein.

Ich glaube, jede zweite Familie ist irgendwann damit konfrontiert, dass das Kind schlecht isst, bzw. jedes Kind hat auch schlechte Phasen.

Das kann ich mir vorstellen. Es gibt ja auch täglich Situationen, in denen man zum Essen zusammen kommt, sodass das Thema viel Platz einnimmt. Was glaubst du, warum es für viele Eltern so ein stressiges Thema ist?

Häufig sind Eltern ja noch berufstätig und haben andere Stressfaktoren. Wenn das Kind dann am Tisch auf einmal sagt, es mag das Essen nicht, können die Eltern das dann weniger ruhig aufnehmen. Wenn man schon gestresst ist, reagiert man natürlich viel explosiver. Da merkt man, dass es einen Unterschied macht, wie gestresst die Eltern sind und wie sie reagieren. Es können sich dann Gewohnheiten und Teufelskreise bilden. Gerade habe ich zwei Familien im Coaching, die wirklich Notfallmaßnahmen ergriffen haben und ein IPad an den Tisch geholt haben, damit das Kind isst. Und dann isst es nur noch mit IPad. Oder die Eltern kochen nur noch, was das Kind verlangt, weil es sonst sowieso bei jedem Essen sagt „Bäh, das mag ich nicht“. Und irgendwann kommt man nicht mehr daraus. Und das ist dann auch nicht mehr okay, dass man jeden Tag nur noch seine Nudeln ohne Soße kocht. Und das ist ein weiterer Stresspunkt: Viele Mütter setzen sich mit der gesunden Ernährung auseinander und geraten in Stress, wenn ihr Kind nicht so gesund isst. Die Eltern machen sich natürlich auch aus ihrer Unsicherheit heraus Sorgen und machen sich Gedanken, wie das Kind an alle Nährstoffe kommt und sie fragen sich, ob es normal ist, dass das Kind seit einem halben Jahr kaum Gemüse isst. Vielleicht auch gerade, wenn man sein Kind vegetarisch ernährt.

Was ist deine Einschätzung: Ist es wichtiger, dass ein Kind gesund isst oder dass es entspannt am Esstisch sitzt?

Ich würde sagen Priorität 1 ist das entspannte und ohne Stress am Tisch essen. Die Eltern müssen natürlich trotzdem dafür sorgen, dass ein gesundes Essen da ist. Das es auch eine Routine beim Essen gibt, die das Kind mitbekommt. Es gibt den Satz „Die Eltern achten darauf, was sie anbieten und sorgen für das Angebot, während das Kind entscheidet, was davon und wie viel es isst“. Und viele Eltern haben auch den Stress, dass das Kind zu wenig isst oder warum es nach einer Stunde schon wieder essen möchte aber dabei muss man seinem Kind auch ein bisschen vertrauen und Raum geben, dass es weiß, wie viel es isst. Und wenn es an einem Tag mal keine Lust auf Kartoffeln hat, dann isst es sie mal nicht und es ist nicht schlimm. Man kann natürlich aber auch nicht nur Weißbrot und Süßigkeiten auf den Tisch stellen, das ist keine vollwertige Mahlzeit.

Die Eltern sind also für das Angebot und die Rahmenbedingungen zuständig und das Kind guckt dann, was es probiert. Muss ein Kind denn von allem probieren?

Nein, das muss es meiner Meinung nach nicht. In meinem Coaching schaue ich natürlich schon, dass wir Übungen machen, denn man muss das Essen auch trainieren. Das kennt man ja selbst: Wenn wir zum ersten Mal einen Kaffee getrunken haben, dann fanden wir ihn wahrscheinlich auch nicht so lecker wie heute, einfach weil wir es noch lernen mussten. Und genau so ist es auch beim Kind. Das muss man dann natürlich beachten und dem ganzen Zeit geben. Ich versuche, das Ganze auch kreativ und spielerisch anzugehen. Einfach zu sagen „Du musst von allem probieren“, kann sogar kontraproduktiv sein und das Kind verschließt sich eventuell sogar noch mehr, das habe ich auch schon gesehen. Zwingen ist auch ganz schlimm, da kann auch ein Trauma entstehen, sodass das Kind es nie mehr essen möchte.

Wenn wir zum ersten Mal einen Kaffee getrunken haben, dann fanden wir ihn wahrscheinlich auch nicht so lecker wie heute, einfach weil wir es noch lernen mussten. Und genau so ist es auch beim Kind.

Bei manchen Kindern steckt auch eine Hochsensibilität dahinter, dass sie viele Sachen nicht mögen. Kannst du das nochmal genauer erklären?

Hochsensible Kinder achten z.B. auf Konsistenzen und Temperaturen oder sie lassen sich von Geräuschen ablenken. Da kann man darauf achten, dass man eine eher ruhige Tischsituation hat und kein Radio oder so läuft. Viele Kinder sind dann dazu auch Super Taster, die schmecken viel besser und haben sogar mehr Geschmacksknospen. Starke Gewürze sind eine Geschmacksexplosion und wenn sie etwas nicht mögen, dann ist es direkt extrem ekelig für sie.

Interessant. Ich glaube wir alle sind auch durch eigene Essgewohnheiten geprägt. Wie sehr sollten Eltern auf ihr Bauchgefühl vs. Ratschläge von Freunden oder Kinderärzten hören?

Was ich viel und oft höre ist, dass die Kinderärzte die Eltern häufig stark verunsichern. Und die Kinderärzte geben auch viele Tipps, ohne viel Wissen über Ernährung zu haben.
Es ist dann nicht ganz einfach, da die Eltern sich viel Stress machen und ein Coaching macht dann Sinn, wenn man sagt, dass man schon alles an Tipps ausprobiert hat und es trotzdem nicht besser wird. Oder wenn man merkt, dass der Stress so stark ist, dass man es als Eltern nicht mehr schafft und es einen Input von außen braucht. Man bekommt Leitlinien und Strategien, sodass die Unsicherheiten genommen wird. Das macht Sinn, wenn man verzweifelt ist.

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Das glaube ich. Wie ist das überhaupt, beeinflusst nicht auch umgekehrt unser Essen unser Stresserleben? Aus eigener Erfahrung weiß ich zum Beispiel, dass starke Blutzuckerschwankungen auch zu mehr Stress im Alltag führen.

Zucker ist natürlich ein großes Thema. Ich schaue mit einem Essenstagebuch, was das Kind isst und mache da eine Analyse. Oft sehe ich, dass schon ein süßes Frühstück dazu führen kann, dass ein Kind weniger Gemüse isst, weil die Geschmacksrichtung dann schon vorgegeben ist. Eine vollwertige Ernährung bringt alle Nährstoffe, die der Körper braucht. Und wenn der Körper gut versorgt ist, ist man automatisch auch ausgeglichener.

Ich finde gerade, wenn man ein kleines Kind hat, hat man häufig wenig Zeit, sich um die eigene Ernährung zu kümmern. Da isst man häufig nur schnell einen Snack, weil das Baby so viel Aufmerksamkeit braucht. Hast du da einen Tipp, wie man sich gut um sich selbst kümmern kann? Und wie kann man für Kinder gute Snacks machen?

Man muss keine Angst haben, sich auch mal für sich alleine was zu kochen. Da kann man sich z.B. Gemüse Bowls kochen, das sieht ja auch schön aus, wenn man viele Farben auf dem Teller hat. Wenn man noch kleine Kinder hat, sind Energy Balls auch gut, das ist dann besser als mal eben schnell ein Kinderriegel. Man kann auch Rezepte schnell gesund gestalten, ohne immer zu Fertigprodukten zu greifen. Das gleiche gilt für Kindersnacks: hier lieber kreativ werden und z.B. Fruchtriegel selber machen, anstatt Fertigprodukte zu kaufen. Solche Rezepte habe ich auch auf meinem Blog oder in meinem Buch.

Vielen Dank für die Ideen! Für wen ist denn dein aktuelles Buch "Mama, ich will Brokkoli!" geeignet?

Das Buch beinhaltet neben vielen Rezepte von mir auch Ratschläge und mein Wissen. Es behandelt Fragen wie: Was ist eine vollwertige Kinderernährung? Wie schafft man es, sein Kind vegetarisch zu ernähren und alle Nährstoffe abzudecken? Wie sieht ein optimaler Tag aus? Was sind kritische Nährstoffe? Was sind gute Alternativen zu Zucker? Aber auch das Thema Stress: wie kann ich ihn am Essenstisch reduzieren?

Liebe Moana, vielen Dank für das Gespräch!

Was waren deine Aha-Momente aus dem Gespräch? Mich spricht Moanas Regel total an, dass die Eltern für Angebot und Rahmenbedingungen zuständig sind und die Kinder entscheiden dürfen, was und wieviel sie essen. Das nehm ich mir für meinen Alltag auf jeden Fall mit 🙂

Falls du jetzt das Gefühl hast, eure Situation ist bereits total verfahren oder du machst dir wirklich Sorgen um die Gesundheit deines Kindes – meld dich doch bei Moana!

Hier nochmal die wichtigsten Adressen:

Moanas Blog
Moanas Ernährungscoaching
Moanas Instagramprofil
Moanas Buch “Mama, ich will Brokkoli!”

und in ihrem Podcast “Healthy Happy Family” gibt es auch eine Folge mit mir (Folge #24) zum Thema Eltern-Burnout. Hör gerne mal rein! 🙂

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