Es gibt nicht viele Psycholog:innen, die es hinbekommen Fachwissen so anschaulich und praxisnah zu vermitteln wie Dr. Ulrike Bossmann. Seit 2017 betreibt sie ihren Soulsweet-Blog und coacht zu Themen wie “Glücklich sein”, “Stressbewältigung & Resilienz” und “Selbstfürsorge”.
Jetzt hat sie ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: “People Pleasing: Raus aus der Harmoniefalle und weg mit dem schlechten Gewissen.” – Bäm! Dieses Buch hat für mich wirklich vor Selbsterkenntnis und spannenden Impulsen für meine Beratungen nur so gestrotzt und ich kann es euch aus vollem Herzen empfehlen (ich bekomme auch keine Provision oder so :)). Kurz zur Erläuterung: Mit People Pleasing meint Ulrike ein Verhaltensmuster, bei dem wir das Wohlbefinden der anderen über unser eigenes stellen, aus dem Wunsch nach Anerkennung und Gefallen oder auch aus der Angst vor Verärgerung und Enttäuschung.
Umso mehr habe ich mich gefreut, mit Ulrike über ihre Ideen zu sprechen und darüber, wie relevant es auch für den Elternalltag ist:
Liebe Ulrike, wenn man ein Kind bekommt und Mutter oder Vater wird, gibt es auf einmal ziemlich viele Bedürfnisse und Erwartungen auch von anderen, die man mitbedenken muss. Meinst du Eltern werden ist so etwas wie eine Falle fürs People Pleasing?
Wenn Menschen die Tendenz schon haben, dann ist es eine Zeit, die das auf jeden Fall befördert. Wer ohnehin dazu neigt, sich am Außen zu orientieren, Anerkennung möchte und vor allem, wenn der eigene Selbstwert auch davon abhängt, dann kommt Elternschaft als ein Bereich dazu, der viele People Pleasing-Momente enthält. Dazu kommt, dass in dieser Zeit sowieso viel von außen kommentiert wird, man von außen beäugt wird und es tausend Meinungen gibt, die oft auch sehr konträr sind- so dass man das Gefühl bekommt, man kann es kaum jemandem Recht machen. Je mehr jemand also die Tendenz zum People Pleasing hat, desto mehr wird sie sich in dieser Zeit verstärken.
Kann man denn das Konzept des People Pleasing überhaupt auf die Beziehung zu den eigenen Kindern übertragen? Wir haben ja einfach auch eine gewisse Verantwortung für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse, die wir bei anderen Erwachsenen eher nicht haben. Gerade wenn unsere Babys noch sehr klein sind, kann man ja nicht sagen „So Baby, hier ist meine Grenze und nicht weiter.“
Zum einen möchte ich vorab sagen, dass nicht das Kümmern um Andere das Problem ist, sondern die Eigenvernachlässigung oder -aufgabe. Sicher gibt es gerade in der ersten Zeit da ein Wesen, das mich bedingungslos braucht und das abhängig von mir ist. Insofern finde ich es sinnvoll und normal, für eine gewisse Zeit zu sagen, „ich stelle mich darauf ein, ganz und gar für dieses Kind da zu sein“. Es ist eine Phase, die geht vorbei. Und trotzdem erlebe ich bei meinen Klientinnen Unterschiede! Natürlich geht es nicht darum, das Kind quasi zur Seite zu legen und gar nicht mehr wichtig zu nehmen. Sondern es geht um die Frage: Darf ich auch noch vorkommen? Das sind manchmal schon die „einfachen“ Dinge: Erlaube ich es mir, dass ich andere um Hilfe bitte? Dass sie mir Mittagessen kochen, mir etwas vorbeibringen oder ähnliches – also kann ich es mir leichter machen oder hab ich das Gefühl, da muss ich mich auch noch aufopfern? Mit kleinen Kindern mögen die Spielräume zwar klein sein, aber sie sind da. Die Frage ist eher: Erlaube ich es mir, diese kleinen Spielräume zu nutzen? Und wenn ich gerade besonders das Kind im Blick habe, kann ich auf andere Lebensbereiche schauen, ob ich dort Erwartungen herunterschrauben kann.
Natürlich geht es nicht darum, das Kind quasi zur Seite zu legen und gar nicht mehr wichtig zu nehmen. Sondern es geht um die Frage: Darf ich auch noch vorkommen?
Ulrike Bossmann
Wenn wir das erste Mal Eltern werden kommen viele neue Themen und Fragen auf mich zu, bei denen ich erstmal nicht genau weiß, was eigentlich meine Meinung dazu ist oder was ich eigentlich möchte. Dazu kommen die Meinung von Familie und Freund:innen, Ratschläge von Expertinnen…wie finde ich denn in dem ganzen Durcheinander heraus, was ich eigentlich möchte oder brauche?
Zum einen würde ich gezielter schauen: Wem höre ich zu? Wir kriegen diese ganzen Tipps und Ratschläge, könnten tausend Bücher lesen. Da finde ich es wichtig sich klar zu machen, dass nicht alle diese Menschen mit mir und meinen Werten übereinstimmen. Ich kann lernen mich emotional abzuschirmen von dem, was gar nicht relevant ist. Wenn wir aus unserer Unsicherheit als Eltern vielleicht mehr fragen, mehr Informationen konsumieren, um Sicherheit herzustellen, dann steckt ja erstmal der Wunsch dahinter, es gut zu machen. Dafür kann man sich wirklich mal auf die Schulter klopfen. Und dann suche ich mir lieber 2-3 Menschen, denen ich vertraue, die mir ähnlich sind, die mir wichtig sind und mit denen spreche ich und das, was die sagen, nehme ich mir zu Herzen. Bei anderen sag ich vielleicht sogar: „Du, ich weiß, die meisten Menschen haben dazu eine Meinung, aber mich verunsichert das eher und ich wäre dir total dankbar, wenn du es nicht kommentierst.”
Und was noch helfen kann, um stärker eine eigene Meinung zu entwickeln, ist Kontakt zu etwas zu bekommen, was wir in der Psychologie somatische Marker nennen. Wir kriegen eine Information und haben erstmal ein Bauchgefühl. Wenn ich zum Beispiel das Wort „Winter” höre, denke ich vielleicht „Oh ne, kalt“ oder aber „Schön kuschelig“. Also jede Art von spontanem, oft diffusem Gefühl ist ein somatischer Marker. Im Alltag übergehen wir das oft. Wenn man sich aber stattdessen einen ganz kurzen Moment nimmt und sich die Dinge vorsagt oder vorstellt, um die es gerade geht, dann antwortet unser Bauch, unser emotionales Erfahrungsgedächtnis. Die Frage ist: Erlaube ich mir diesen Moment des Innehaltens? Alternativ hilft vielleicht auch die Frage: Worauf hab ich denn gerade Lust? Und worauf hab ich gar keinen Bock? Das führt mich doch total zu mir zurück. Dieses Grundbedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung gerät bei Eltern so oft aus dem Blick, weil die Erwartungen von außen und der eigene Druck so hoch sind.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir in der Babyzeit oft nicht einmal die Basisbedürfnisse nach Essen, Trinken, Schlaf oder auf Toilette gehen zeitnah erfüllen können und sie übergehen, so dass wir es verlernen, auf unseren Körper zu hören oder in uns hineinzuhören.
Total, dieses kleine andere Lebewesen hat so eine hohe Priorität und dann ist das oft so. Gleichzeitig gibt es Momente, in denen wir uns hinterher ärgern und denken: „Oh man diese Gelegenheit hätte ich eigentlich nutzen sollen.“ oder „Da hätte ich es mir einfacher machen können.“ Es sind oft kleine Dinge, die auch bei frischgebackenen Eltern möglich sind. Und ich glaube, dass diese Momente, in denen ich mich danach über mich selbst oder andere ärgere, ein wichtiger Hinweis für uns sein können. Ich kann mich fragen: Wenn ich das nächste Mal in eine solche Situation komme, was mach ich denn dann?
Für People Pleaser geht es ja auch oft um den eigenen Selbstwert. Also in den Momenten, in denen ich Anerkennung bekomme dafür, was für eine tolle Mama ich bin und alle anderen sagen: „Wow, ich weiß gar nicht wie du das alles machst.“ – Das füttert dann das Selbstwertgefühl. Es ist ein bisschen wie Traubenzucker: Der ist ein schneller Energielieferant, aber danach baut es sich ganz schön schnell ab und der Blutzuckerspiegel rauscht sauschnell in den Keller.
Da mal für sich zu gucken: Wie stark hängt mein Selbstwert damit zusammen, dass ich eine gute Mama bin? Erlebe ich ständig Momente, in denen ich mich beweisen muss und mit anderen vergleiche? Und wo ich vielleicht deswegen auch den Kontakt zu mir selber verliere?
Ulrike Bossmann
So ist es auch mit der Anerkennung von außen. Wenn mein Selbstwert davon abhängt, eine gute Mama zu sein und 100% für mein Kind da zu sein, dann suche ich auch Gelegenheiten, bei denen ich mich als gute Mama beweisen kann. Ich gehe in die Krabbelgruppen, auf den Spielplatz und unterhalte mich mit den anderen, bin im Beikostforum unterwegs – das Problem ist nur: Ich hol mir dort sehr viel mehr Verunsicherung rein. Weil man ja sieht: „Ach guck mal, das hättest du auch noch berücksichtigen können!“ Und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ich in den People-Pleasing-Modus verfalle und weiter weg von mir komme. Da mal für sich zu gucken: Wie stark hängt mein Selbstwert damit zusammen, dass ich eine gute Mama bin? Erlebe ich ständig Momente, in denen ich mich beweisen muss und mit anderen vergleiche? Und wo ich vielleicht deswegen auch den Kontakt zu mir selber verliere?
Wenn jetzt eine Mutter das liest und sich darin erkennt, was würdest du ihr raten? Wie mache ich denn ersten Schritt, wenn mir das einmal bewusst geworden ist?
Der Bewusst-werde-Teil ist schon sehr wichtig. Ich mache mit Klientinnen oft die Übung auf die 10 letzten Entscheidungen zu schauen und frage sie dann, ob sie dabei das Wohl der anderen in den Mittelpunkt gestellt haben oder ihr eigenes. Wenn man feststellt, dass das Verhältnis eher 10:0 oder 8:2 ist, sagt einem das schon was. Und bevor man jetzt den Anspruch hat, wieder etwas an sich zu verändern und da auch wieder Druck aufzubauen, kann man erstmal bewusst beobachten: In welchen Situationen oder bei welchen Personen mache ich das besonders stark? Wo, wann und bei wem neige ich total zum People Pleasing? Weil sich daraus schon Ideen ableiten können, was man gerne anders machen würde.
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In einem zweiten Schritt kann man sich für bestimmte Situationen fragen: Was wäre, wenn ich meine Meinung, mein Bedürfnis, meine Wünsche in diesem Moment genauso wichtig nehmen würde? Was würde ich dann machen? Kann ich mich da zumuten? Kann ich den Mut finden, eine Bitte zu äußern? Kann ich Nein sagen? Wo sind kleine Momente, in denen ich Zumutungsexperimente machen kann? Ich kaufe den Kuchen, statt ihn selber zu backen. Das können ja manchmal schon kleine Handlungen sein.
Und dann gibt es noch die Momente, in denen ich gezielt gefragt werde: „Willst du lieber Pizza oder Sushi bestellen? Oder lieber A oder B?“ Und dann wirklich zu antworten, anstatt wie People Pleaser es oft tun, zu sagen „Ist mir egal.“ Manchmal weil sie gar nicht mehr spüren, was sie selbst wollen. Hier kann man gut anfangen, wenn man schon eingeladen wird, seine Meinung zu sagen, diese auch zu teilen. Oder wenn man Hilfe angeboten bekommt, diese auch anzunehmen. Das sind vielleicht leichtere Situationen, in denen man üben kann.
In deinem Buch hast du auch ein eigenes Kapitel zum schlechten Gewissen. Etwas das wahrscheinlich alle Eltern kennen: Man versucht irgendwie alles unter einen Hut zu bekommen, Job, Kinder, allen Rollen, die man so hat, irgendwie gerecht zu werden. Was sind deine Tipps zum Umgang mit dem schlechten Gewissen?
Ich glaube die wichtigste Erkenntnis, die People Pleaser haben müssen, ist das sie tatsächlich in einem Dilemma stecken. Im Buch habe ich eine Übung, die heißt Erwartungskarussell. Es geht darum, aufzuschreiben, was sind meine inneren Erwartungen, was sind meine inneren Stimmen und Aufträge, die ich so habe in solchen Momenten und was ist aber auch alles von außen da. Dann stellt man ganz schön schnell fest: Das sind völlig unvereinbare Aufträge. Das geht gar nicht alles. Und wenn ich das so schwarz auf weiß vor mir sehe, fällt oft auch auf, wie gemein man zu sich selbst ist. Denn der Maßstab ist oft nicht, ich will überall ausreichend gut sein, sondern ich will in allen Lebensbereichen die mathematisch unmöglichen 150% geben. Und weil das nicht geht, weil niemand genügend Zeit und Energie dafür hat, fangen wir an ein schlechtes Gewissen zu bekommen und uns abzuwerten. Es ist also wichtig zu verstehen: Ich versuche gerade etwas Unmögliches möglich zu machen. Und als People Pleaser wird die logische Folge sein: Ich stelle meins zurück, weil es am ehesten der Weg ist, wie ich alle anderen noch befriedigen kann. Und das zu durchschauen: Ich hab jetzt gerade ein schlechtes Gewissen als Folge davon.
Mit meinen Klientinnen feiere ich das schlechte Gewissen. Wir sagen „Cool, dass ich meinen „Die-anderen-sind-wichtig-und-ich-bin-auch-wichtig-Muskel“ trainieren kann.“
Ulrike Bossmann
Damit ist für mich die wichtigste Strategie nicht zu sagen: „Ich hätte diese Gedanken gerne nicht mehr!“ – die werden nämlich kommen – sondern zu lernen, mich von diesen gefühlsmäßig abzugrenzen. Also nicht zu sagen „Oh, ich bin aber egoistisch“ sondern vielmehr „Mein Gehirn produziert gerade den Gedanken, ich wäre egoistisch. Da gibt es diesen Quatschi in mir, der sagt mir das seit Jahren, aber das ist nicht die Wahrheit.“
Was zweites, was ich sehr hilfreich finde, ist das schlechte Gewissen bewusster zu feiern: Weil wenn ich als People Pleaser mal was ändere und meine Meinung sage, hier mal etwas umperfekt mache, dort mal Nein sage oder auch mal an mich denke – dann wird das schlechte Gewissen erst mal umso mehr da sein. Das ist aber nicht ein Zeichen dafür, dass ich etwas falsch mache, sondern dafür, dass ich mich in die richtige Richtung bewege. Ich habe das nur, weil ich etwas anders mache als bisher. Mit meinen Klientinnen feiere ich das schlechte Gewissen. Wir sagen „Cool, dass ich meinen „Die-anderen-sind-wichtig-und-ich-bin-auch-wichtig-Muskel“ trainieren kann.“
Dieses Gespräch ist schon jetzt eines meiner absoluten Highlights in diesem Jahr. Was war deine wichtigste Erkenntnis? Gibt es typische Situationen, in denen du in den People-Pleasing Modus fällst? Hinterlasse mir gerne einen Kommentar!
Wenn dir das Gespräch auch so gut gefallen hat wie mir, hab ich gute Neuigkeiten: In meinem Newsletter erfährst du diese Woche, welche Tipps mir Ulrike noch zum Nein sagen und Umgang mit Anderen gegeben hat. Also meld dich jetzt noch schnell an!
Und dann hab ich Ulrike noch gefragt, wie wir es schaffen, dass unsere Kinder gar nicht erst zu People Pleasern werden - mehr dazu in meinem nächsten Blogbeitrag!
Zum Abschluss noch die wichtigsten Links rund um Ulrike und das People Pleasing:
Ulrikes Webseite
Ulrikes Instagram-Account
Ulrikes Buch
2 Kommentare zu „Wie entkommen wir als Eltern dem People Pleasing, Ulrike Bossmann?“
Vielen Dank für das informative und sehr interessante Interview! Mir ist dadurch gerade bewusst geworden, in wie vielen Situationen ich mich wiedererkannt habe und, dass ich zum People-Pleasing neige. Ich habe direkt einmal auf meine 10 letzten Entscheidung geschaut und mir ist aufgefallen, dass ich definitiv zu oft das Wohl von anderen in den Vordergrund gestellt habe. Meine wichtigste Erkenntnis ist, dass ich in Zukunft mehr in mich hineinhören sollte und noch mehr darauf achten sollte, was ich möchte, da das in meinem Alltag mit Baby leider viel zu schnell in den Hintergrund rückt.
Wie schön, es freut mich sehr, dass das Gespräch ein hilfreicher Denkanstoß für dich war! Liebe Grüße! 🙂