Wie holen wir die Väter mit ins Boot, Hanna Drechsler?

In der letzten Woche las ich bei Instagram von einer neuen Studie der Hans-Böckler-Stiftung, in der bestätigt wurde, dass Frauen nicht nur den größten Anteil der Haushalts- und Care-Arbeit übernehmen, sondern auch die ganze Alltagsorganisation drumherum, auch wenn sie gleichzeitig erwerbstätig sind. Das Thema Mental Load ist zu Recht in den letzten Jahren bekannter geworden: In einer Pressemitteilung der Stiftung heißt es, “erwerbstätige Frauen mit Kindern übernehmen mit einer Wahrscheinlichkeit von 74 Prozent den Großteil des Alltagsmanagements”. Wo sind die Väter, die eine gleichberechtigte Elternschaft leben? Wollen sie nicht? Können sie nicht? In der gleichen Pressemitteilung heißt es auch, Väter seien oft zwischen dem eigenen Wunsch nach elterlichem Engagement und dem traditionellen Rollenbild und damit einhergehenden Erwartungen des Umfelds hin- und hergerissen – und das kann ich tatsächlich total verstehen. Denn auch wenn es auf dem Papier Elternzeit für beide und andere Maßnahmen gibt, kommen die Veränderungen nicht so schnell bei den Erwartungen der eigenen Kollegen und Chefs (jetzt mal bewusst nicht gegendert) an. Es mangelt den Vätern an Vorbildern, oder vielleicht besser allgemein gesagt den Familien. Andere Familien, die zeigen, wie es eben noch gehen kann.

Hanna beschäftigt sich mit diesen Themen schon seit Langem und ist für mich ein solches Vorbild in Sachen “So kann es auch funktionieren”. Mit ihr habe ich darüber gesprochen, wie wir die Väter mit ins Boot holen können. Nachdem es im ersten Teil unseres Gesprächs also eher um die Mütter ging, stehen in diesem zweiten Teil die Väter im Fokus:

Liebe Hanna, was können Väter deiner Meinung nach im Alltag tun, um selbst in Richtung feministischer Elternschaft zu gehen?

Erstmal können Väter alles, was Mütter auch können. Sie können natürlich nicht Stillen, aber es gibt ja auch Fläschchen. Es gibt kein Hindernis, es nicht gleichberechtigt zu tun oder man kann es ja auch an anderen Stellen ausgleichen. Das muss man logistisch steuern. Ich fand, man hat es bei unserem Sohn gesehen, dass er nach der Elternzeit von uns beiden eine gleich gute Bindung zu uns beiden hatte. Es war egal, wer das alles macht. Und das ist eine heilsame Erfahrung aber bedeutet auch, loszulassen, denn man muss seine Rolle als Mutter in der Pole Position auch loslassen. Und das ist häufig ein Problem, dass Mütter an dieser Machtrolle festhalten wollen, weil sie sonst so wenig Macht haben. Aber Väter können das alles auch und man muss es einfach organisieren. Ich differenziere immer zwischen Haus-, Care- und Erwerbsarbeit und es gibt all diese Dinge, die im Alltag einer Familie stattfinden. Zu Care-Arbeit zählt natürlich auch die emotionale Arbeit und der Mental Load und da bedarf es einfach dem Willen, dieses Bewusstsein zu entwickeln, diese Arbeit als Arbeit zu sehen. Es ist eine Entscheidung, Care-Arbeit wertzuschätzen und das ist ein Prozess der Auseinandersetzung der Selbstanerkennung.

Es ist eine Entscheidung, Care-Arbeit wertzuschätzen und das ist ein Prozess der Auseinandersetzung der Selbstanerkennung.

Väter bekommen ihre Anerkennung hauptsächlich durch ihre Erwerbsarbeit. Und es ist auch ein Risiko für sie, das aufzugeben und zu beschließen, mehr Care-Arbeit zu machen. Man darf auch verschiedene Dinge wichtig finden und man kann verschiedene Bereiche gleich priorisieren. Das neutralisiert glaub ich, dass Partner ganz verschiedene Bereiche haben, was ja auch eher trennend ist. Gesamtgesellschaftlich betrachtete ist es schon so, dass Mütter mehr Erwerbsarbeit machen und daher müssen Väter sich mehr bei der Care-Arbeit beteiligen. Es ist ein Gap entstanden, weil die Beteiligung der Mütter an der Erwerbsarbeit stetig gewachsen ist, aber nicht die Beteiligung der Väter an der Care-Arbeit. Das Verhältnis stimmt nicht. Alle Arbeit muss als wertvolle Arbeit angesehen werden. Es wird aber auch sehr emotionalisiert. Sie muss immer betonen, wie wichtig die Familie und das Häusliche ist und er muss betonen, wie wichtig es ist, Geld zu verdienen. Dadurch bleibt jeder eher in seiner Nische und es findet keine Verbindung statt.

Das finde ich total spannend. Auch aus persönlicher Erfahrung kann ich das wirklich nachvollziehen. Wir mussten uns da auch erstmal einen Weg für uns suchen, der für uns passt. Dabei sind wir aber auch in viele typische Fallen reingetappt. Und ich glaub an der Stelle sind viele. Sie merken zwar, dass etwas nicht so gut läuft und beide nicht glücklich sind, aber schaffen es nicht, da raus zu kommen. Was würdest du sagen: wie schafft man es, wieder in Verbindung zu kommen?

Das kann man auf verschiedenen Ebenen angehen. Die Idee des Elternteams ist für mich eine Voraussetzung: dabei muss man sich auf den Standpunkt stellen, dass beide für 50% der Arbeit zuständig sind und da fallen dann Erwerbs-, Care- und Haus-Arbeit drunter. Das wäre meine theoretische Grundannahme. Danach kann man dann verhandeln. Das heißt, dass Väter auch für die Care-Arbeit und Mütter auch für die Erwerbs-Arbeit verantwortlich sind. Natürlich sind Mütter strukturell bedingt nicht immer in der Lage, das zu leisten. Bei vielen Paaren ist es möglich, dass die Partner zu gleichen Anteilen erwerbstätig sind. Wahrscheinlich hat man dann nicht das Maximum an Geld, aber dann muss man sich vielleicht auch mit der Frage beschäftigen, ob man immer das Maximum rausholen muss oder was man überhaupt an Geld zum Leben braucht. Man braucht dann eine Auseinandersetzung mit Bedürfnissen, also dass wir uns fragen, wer was braucht. Aber dieses Erinnern der inneren Haltung, dass beide gleich verantwortlich sind, ist schon ein wichtiger Schritt und eine Voraussetzung, um in die Verbindung zu kommen

Bei vielen Paaren ist es möglich, dass die Partner zu gleichen Anteilen erwerbstätig sind. Wahrscheinlich hat man dann nicht das Maximum an Geld, aber dann muss man sich vielleicht auch mit der Frage beschäftigen, ob man immer das Maximum rausholen muss oder was man überhaupt an Geld zum Leben braucht.

Die bewusste Entscheidung, wie man das Leben strukturiert, muss getroffen werden. Oft muss man auch sichtbar machen, was alles an Haus- und Care-Arbeit zu erledigen ist. Man kann schauen, wer welchen zeitlichen Teil der Arbeit macht. Häufig sieht man da, dass die Frauen mehr Arbeit haben. Dafür muss man aber den Austausch auch priorisieren und sich die Zeit für die Kommunikation zu nehmen. Und man muss über seine Gefühle und Bedürfnisse reden, was manchen Menschen sehr schwerfällt. In dieser Dynamik ist häufig die Frau diejenige, die mehr leidet und das triggert bei Männern häufig Widerstand. Man muss aus der Konkurrenz herauskommen und in die Anerkennung gehen. Und dabei muss man Sachen ändern, ohne dass man vorher einen Schuldigen dafür finden muss. Die Teamhaltung kann dabei helfen und unterstützen.
Mit meinem Gruppencoaching-Angebot möchte ich auch Wissen über das gesellschaftliche Problem vermitteln, um so zu zeigen, dass es nicht um individuelle Schuld geht. Das ist ganz wichtig. Dass Väter etwas nicht wahrnehmen liegt häufig daran, dass sie es nicht gelernt haben. Und diese Mischung aus struktureller und individueller Ebene ist sehr wichtig. Man kann auch auf individueller Ebene Lösungen finden, aber man muss das strukturelle Problem auch verstehen. Da sieht man auch, wie stark Prägungen wirken.

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Du bist ja auch aktuell schwanger und erwartest dein drittes Kind. Was denkst du, wie viel verändert noch ein drittes Kind? Bereitet ihr euch nochmal anders vor?

Wir bereiten uns gerade nicht vor. Einerseits haben wir ein großes Vertrauen in unser System, dass es läuft. Wir wissen zwar, dass es das System verändern wird, aber wie genau wissen wir erst, wenn es soweit ist. Dann sehen wir auch, welche neuen Themen es auch für unsere anderen Kindern aufbringt. Gerade ist glaub ich ein ganz guter Zeitpunkt und man könnte von den äußeren Umständen denken, dass es klappt. Natürlich wird es sehr viel mehr Arbeit, aber gleichzeitig bleibt unser Tag, wie er ist und wir sind einfach erschöpfter. Aber diese Erschöpfung teilen mein Partner und ich uns. Wenn es Probleme gibt, weiß ich, dass wir darüber reden können.

Und das ist ein totales Dilemma, wenn es sich für einen selbst und den Partner stimmig anfühlt, aber strukturell schwierig ist. Ganz viele Zweifel kommen aus der strukturellen Ebene und das muss man erstmal verstehen.

Mich hat aber auch nochmal die kollektive Dimension eingeholt: die strukturelle Ebene hat meinen Wunsch nach einem dritten Kind verhindert und ich konnte meinen Wunsch kaum zulassen. Das ist auch etwas, dass uns das Patriarchat sagt, da drei Kinder totaler Überfluss sind. Man entspricht entweder dem klassischen Rollenbild und hat viel Geld und Platz und eine Mutter, die sich ausschließlich um die Kinder kümmert, oder drei Kinder sind zu viel. Und dem entsprechen wir nicht und ich hatte erstmal keinen Referenzrahmen und kein Vorbild. Eine meiner Mentorinnen hat aber auch gesagt: Was wäre, wenn du die bist, die zeigt, dass es geht. Und das ganz ohne Druck. Denn ich habe auch gemerkt dass ich total unter Druck stand, weil ich mich gefragt habe, was passiert, wenn es doch nicht klappt und ich falsch liege. Und dass wir das Limit von der 50-50-Aufteilung mit zwei Kindern ausgereizt haben. Das habe ich schon gemerkt, dass es viele Ängste ausgelöst hat. Und zwar nicht durch mich oder meinen Partner, sondern weil das Geld nicht reicht. Das Armutsrisiko mit drei Kindern ist genauso hoch, wie wenn man alleinstehend ist. Wenn es zu viele Widerstände gibt, die uns von außen in den Weg gelegt werden. Das war bisher noch nicht so. Und anderen geht es auch schon vor dem ersten oder vor dem zweiten Kind so. Und das ist ein totales Dilemma, wenn es sich für einen selbst und den Partner stimmig anfühlt, aber strukturell schwierig ist. Ganz viele Zweifel kommen aus der strukturellen Ebene und das muss man erstmal verstehen.

Vielen Dank für unser Gespräch und deine wertvollen Impulse, Hanna!

Das war Teil II meines Gesprächs mit Hanna - du hast den Anfang verpasst? Dann lies gerne hier weiter: "Wie passen Feminismus und Elternschaft zusammen, Hanna Drechsler?" Wir haben u.a. über das schlechte Gewissen als Mutter gesprochen und Hanna erklärt, warum der Austausch untereinander so wichtig ist.
Über den Leidensdruck der Väter und ihre Rolle bei den Veränderungen habe ich auch mit Elou Falkenberg gesprochen: "Wie kann eine gleichberechtigte Elternschaft funktionieren, Elou Falkenberg?"

Du möchtest tiefer ins Thema eintauchen oder mehr über Hanna und ihre Angebote erfahren?

Aktuell kannst du dich hier für die Warteliste zum Feminist Motherhood Circle anmelden, der im Oktober 2023 startet. 10 Monate Begleitung und intensive Auseinandersetzung mit deiner Mutterschaft - und ich bin ebenfalls mit am Start mit einem Gastbeitrag!

Hannas Podcast "Eltern in Balance" ist sehr empfehlenswert genauso wie ihr Instagram-Profil.

Alle Infos und Angebote findest du natürlich auch auf ihrer Webseite.

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